Das Hungerjahr - Roman
Feuer im Ofen und setzt einen Topf auf. Bald steigt Dampf auf.
Als sie die Schalen vor Marja und Juho hinstellt, erhebt sich der Mann und verschwindet in der Kammer. In den Schalen ist heiße Milchsuppe. Die Frau setzt sich schweigend ans Kopfende, wo der Mann gerade aufgestanden ist. Sie hält ein halbes Brot im Arm, bricht kleine Stücke ab und reicht sie Marja.
»Danke.«
Wieder sieht Marja das Gesicht des blinden Jungen auf der Ofenbank.
»Nun schlaf schon!«, faucht die Frau, und das Gesicht verschwindet im Dunkeln.
»Ist er schon immer … blind gewesen?«
»Von Geburt an. Aber er ist mit seinem Leiden nicht mehr allein im Sprengel«, erwidert die Frau.
Das düster Triumphierende in ihrer Stimme bereitet Marja eine Gänsehaut.
Die Milchsuppe sieht wie der Schneematsch aus, den man im Frühjahr vorm Viehstall hat. Aber jetzt kommt einem auch die Vorstellung des Frühlings finster vor, Marja sieht nicht den darauf folgenden Sommer, sondern einen Spätwinter, der endlos anhält. Sie führt den Löffel an die Lippen und starrt in die Dunkelheit der Ofenbank, von wo blinde Augen sie anschauen.
Aus dem Schlaf heraus hört Marja die Bodendielen unter Schritten knarren. Die Schritte bringen ein schweres Keuchen im Dunkeln mit. Das Geräusch des Feuerzeugs. Knisternd entzündet sich der Span, und im schwachen Licht erheben sich bedrohliche Schatten an der Wand. Eine unnatürlich große Gestalt zuckt gespenstisch, während sie sich das Hemd über den Kopf zieht. Nackt beugt sich der Mann über Marja und zerreißt ihre Bluse und ihren Rock, noch bevor sie auch nur versuchen kann, ihn davon abzuhalten. Der Schrei bleibt ihr im Hals stecken, das Entsetzen lähmt ihre Stimme, es ist wie der Schwall Wasser, den die Nichtschwimmerin schluckt, schwarz und kalt.
»Du Hure glaubst doch nicht, dass du hier umsonst die letzten Brotkrumen fressen darfst?«
Der Mann steckt Marja die Finger zwischen die Beine, zieht sie heraus, spuckt darauf und steckt sie wieder hinein. Keuchend bearbeitet er Marja, die weiterhin von der kalten Hand des Entsetzens unter Wasser gedrückt und nicht losgelassen wird. Ihr geht die Luft aus. Dann dringt der Mann in sie ein.
»Verflucht trockene Mähre«, ächzt er.
Was endlos erscheint, endet damit, dass der Mann einen prustenden Laut von sich gibt. Dann stöhnt er auf und löst sich von Marja, als würde er in die Luft aufsteigen.
Seine Frau hat ihn an den Haaren hochgezerrt. Er zieht sich das Hemd an und verschwindet wieder in der Kammer, nicht ohne auf dem Weg dorthin dem Jungen, der auf der Ofenbank den Kopf reckt, einen Fluch ins Gesicht zu schleudern.
Endlich schafft es die Stimme aus der Kehle heraus, aber Marja schluckt sie wieder, als sie die zum Schlag erhobene Hand der Frau sieht, die jedoch zitternd in der Luft innehält.
»Du Hure, du Hure, du Hure«, zischt die Frau durch die Zähne.
Sie packt auch Marja an den Haaren und dreht ihr den Kopf hin und her. Juho umklammert den Hals seiner Mutter.
»Du darfst dich für die Nacht zu den anderen Kühen in den Stall verziehen, obwohl da kein Bulle steht«, sagt die Frau, als sie endlich den Griff lockert.
Marja rafft ihre zerrissenen Kleider zusammen, zieht Juho hastig an, geht zur Tür und öffnet sie. Draußen ist es dunkel und kalt. Die Frau steht im Schein des Spans in der Stube und rauft sich nun die eigenen Haare. Der Kopf des blinden Jungen schiebt sich von der Ofenbank ins Licht und bewegt sich hin und her wie ein Uhrpendel.
Dann lässt die Frau ihre Haare los, und die gequälte Miene geht im Nu in eine hochmütige über. Sie nimmt die Lampe, die neben der Tür an einem Nagel hängt, zündet sie an und gibt sie Marja.
»Geh. Und morgen früh bist du nicht mehr hier, du Hure.«
Die Dunkelheit scheint mit dem Schnee aufgewirbelt zu werden. In den Bäumen rauscht der Wind, dahinter liegt die endlose Stummheit der Nacht. Die Stalltür sperrt sich, als Marja versucht, sie aufzuziehen, dann reißt der Wind sie sperrangelweit auf, Schnee wird hineingeweht und Marja mit ihm. Man hört das ergebene Muhen der Kühe.
Im Stallofen ist noch Glut, sie strahlt das gleiche gedämpfte Licht aus wie in der Mühle. Marja hängt die Lampe an einen Nagel und legt Reisig in die Glut. Es entbrennt mit einem kleinen Prasseln, wie wenn das Eis einer Pfütze bricht, wenn man darauf tritt. Neben dem Ofen findet Marja eine Pferdedecke. Darin wickelt sie Juho ein.
Drei magere Kühe stehen im Stall. Marja entdeckt eine Schafschere, die in einem
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