Das Imperium der Woelfe
gekillt werden, bedeutet das vor allem verlorene Kohle.«
Ein erster Hoffnungsschimmer für Paul: »Glauben Sie, sie sind in der Lage, die Arbeiterinnen zu identifizieren?«
»In jeder Akte befindet sich ein Foto des Immigranten. Ihre Adresse in Paris. Name und Anschrift des Arbeitgebers.«
Paul wagte eine weitere Frage, doch er wusste die Antwort bereits: »Kennen Sie diese Leute?«
»Der Chef von Iskele in Paris heißt Marek Cesiuz. Alle nennen ihn Marius. Er besitzt eine Konzerthalle am Boulevard de Strasbourg. Ich war bei der Geburt eines seiner Söhne dabei.«
Er zwinkerte ihm zu.
»Rastest du jetzt aus oder was?«
Jean-Louis Schiffer, sein Kompagnon: Worauf hatte sich Paul da eingelassen? Sie haben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Vielleicht hatte Scarbon ja Recht, doch konnte er sich für das Wild, das er jagte, einen besseren Partner vorstellen?
drei
Kapitel 14
Am Montagmorgen verließ Anna Heymes in aller Stille die Wohnung, nahm ein Taxi und fuhr zum linken Seine-Ufer hinüber. Sie kannte ein paar medizinische Buchhandlungen in der Nähe des Odéon.
In einer von ihnen blätterte sie in psychiatrischen und neu-rochirurgischen Handbüchern und suchte nach Informationen über Gehirn-Biopsien. Ackermanns Formulierung klang ihr noch immer in den Ohren: »Stereotaktische Biopsie«. Sie fand ohne Mühe die Fotos und eine detaillierte Beschreibung der Methode.
Sie sah rasierte Patientenschädel, die in eine viereckige Vorrichtung eingezwängt waren, eine Art Metallwürfel, den man an den Schläfen festschrauben konnte. Oberhalb des Rahmens war ein Trepanationsgerät zu erkennen - nichts anderes als ein Bohrer.
Mithilfe der Bilder verfolgte sie sämtliche Stadien des Eingriffs: Der durch den Knochen dringende Bohrer; ein Skalpell, das durch die Öffnung geführt wird, durchdringt die Hirnhaut, die das Gehirn umgibt; eine Hohlnadel sticht in die Hirnsubstanz. Auf einem der Fotos, auf dem der Chirurg die Sonde herauszieht, war sogar die rosa Farbe des Organs zu erkennen. Alles, bloß nicht das.
Anna hatte ihre Entscheidung getroffen. Sie brauchte eine andere Diagnose, musste so schnell wie möglich einen zweiten Spezialisten aufsuchen, der ihr eine alternative Behandlung vorschlagen konnte.
Sie stürzte in eine Brasserie am Boulevard Saint-Germain, schlüpfte in die Telefonzelle im Untergeschoss und durchblätterte das Telefonbuch. Nach mehreren Fehlschlägen stieß sie auf Mathilde Wilcrau, Psychiaterin und Analytikerin, die Zeit zu haben schien.
Die Stimme der Frau klang ernst, doch ihr Ton war locker, fast ein bisschen schadenfroh. Anna erzählte kurz von ihren Gedächtnisproblemen und sagte, es sei wirklich sehr dringend. Die Ärztin war bereit, sie sogleich - unweit vom Panthéon, fünf Minuten vom Odéon entfernt - zu empfangen.
Kurz darauf saß Anna in einem kleinen Wartezimmer mit polierten und lackierten Antiquitäten, die direkt aus dem Schloss von Versailles zu kommen schienen. Sie war die einzige Patientin, aufmerksam betrachtete sie die gerahmten Fotografien, die an den Wänden hingen: Sportleraufnahmen in Extremsituationen.
Auf einem Bild stieß sich eine Gestalt mit dem Gleitsegel von einem steilen Berg herunter; auf dem nächsten kletterte ein kapuzenbewehrter Alpinist eine Eiswand hoch, auf einem weiteren Bild war ein Schütze in Skianzug und Schalmütze zu sehen, der mit dem Zielfernrohr ein unsichtbares Ziel anvisierte.
»Das sind meine Heldentaten vor der Rückreise.«
Anna wandte sich zu der Stimme um.
Mathilde Wilcrau war groß gewachsen, hatte breite Schultern und ein strahlendes Lächeln. Ihre Arme zeichneten sich auf grobe, fast unschickliche Weise unter der Kostümjacke ab, und ihre langen Beine waren stark geformt, kräftig und muskulös. Sie musste zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt sein, schätzte Anna, als sie die faltigen Lider und die Ringe unter den Augen bemerkte. Allerdings war diese Frau nicht für ihre Alter, sondern für ihre Energie zu fürchten - keine Frage von Jahren, sondern eine Frage von Kilojoule.
Die Psychiaterin trat einen Schritt zurück: »Hier entlang bitte.«
Das Sprechzimmer war ähnlich ausgestattet wie das Wartezimmer. Holz, Marmor, Gold. Anna vermutete, dass die Wahrheit über diese Frau weniger in der kostbaren Einrichtung als in den Fotos ihrer sportlichen Leistungen zu finden war.
Sie setzten sich, jede auf ihrer Seite, an einen feuerroten Schreibtisch. Die Ärztin nahm einen Füllfederhalter zur Hand
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