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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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der Nähe war, irgendwo unter ihren Füßen. In mehr als achthundert Metern Tiefe wurde Wasser geschöpft, lief durch die Rohre, wurden enteisent, gechlort, erwärmt, bevor es in das türkische Bad oder in die verborgene Reinigung geleitet wurde. Gurdilek hatte die Idee gehabt, gleich neben seinen Bädern eine Wäscherei unterzubringen, um dasselbe Leitungssystem für zwei verschiedene Zwecke zu nutzen. Eine sparsame Strategie: Kein Tropfen Wasser ging verloren.
    Während er ging, rieb sich der Polizist die Augen und beobachtete die Frauen mit den Baumwollmasken, deren Stirn vom Schweiß triefte. Ihre durchnässten Kittel ließen ihre Brüste und Hintern erkennen, breit und weich, wie er sie mochte. Er spürte, dass er eine Erektion bekam, und hielt dies für ein gutes Omen.
    Wärme und Feuchtigkeit nahmen zu. Ein bestimmter Geruch lag in der Luft, dann verschwand er wieder, sodass Schiffer für einen Moment dachte, geträumt zu haben. Kurz darauf kehrte der Geruch weit intensiver zurück, diesmal hatte sich Schiffer nicht getäuscht.
    Er begann, vorsichtig zu atmen. Beißendes Stechen drang ihm in Nase und Rachen. Verschiedene, kaum zusammenpassende Dünste drangen in sein Atemsystem. Er hatte das Gefühl, einen Eiswürfel zu lutschen, dabei brannte ihm der Mund. Der Geruch war erfrischend und brennend, aggressiv und reinigend in einem Atemzug.
    Minze.
    Sie gingen weiter vorwärts, und der Geruch weitete sich zu einem Fluss, zu einem Meer, in das Schiffer eintauchte. Es war noch schlimmer als in seiner Erinnerung. Bei jedem Schritt fühlte er sich mehr wie ein Teebeutel in einer Tasse. Die Kälte eines Eisbergs ließ seine Lungen erstarren, sein Gesicht fühlte sich an wie eine Maske aus brennendem Wachs.
    Als Schiffer das Ende des Flurs erreichte, war er kurz vor dem Ersticken. Er atmete nur noch in winzigen Zügen, gleich würde er ein riesiges Inhalationsgerät durchschreiten. In dem Wissen, der Wahrheit sehr nahe zu sein, betrat er den Thronsaal.
    Ein leeres, nicht sehr tiefes, von zierlichen weißen Säulen gerahmtes Schwimmbad. Die Säulen waren durch den Dampf hindurch nur schemenhaft zu erahnen, preußisch-blaue Kacheln zierten den Beckenrand im Stil alter Métrostationen. Vor der hinteren Mauer standen Wandschirme aus Holz, in die osmani-sche Ornamente geschnitzt waren: Monde, Kreuze, Sterne.
    In der Mitte des Beckens saß ein schwerer, dicker Mann auf einem Keramikblock. Ein weißes Handtuch umhüllte seine Taille, sein Gesicht lag im Dunkeln.
    Aus dem heißen Dampf ertönte sein Lachen, das Lachen von Talat Gurdilek, dem Minzen-Mann, dem Mann mit der versengten Stimme.

Kapitel 43
     
    Seine Geschichte kannten alle Bewohnern des türkischen Viertels. Er war 1961 nach Europa gekommen, im doppelten Boden eines Tankwagens, die klassische Methode. In Anatolien hatte man hinter ihm und seinen Reisegefährten eine Eisenwand eingezogen und verschraubt. Die blinden Passagiere mussten während der Fahrt ohne frische Luft und Licht ausgestreckt daliegen, etwa achtundvierzig Stunden lang.
    Die Hitze und die knappe Atemluft waren ihnen bald zur Last geworden. Als sie die Bergpässe Bulgariens überquerten, hatte sie die Kälte, die durch das Metall geleitet wurde, bis ins Mark frieren lassen. Die eigentlichen Qualen aber fingen erst in der Nähe der jugoslawischen Grenze an, als der Tankinhalt, Kadmiumsäure, auszusickern begann.
    Langsam drangen die giftigen Dämpfe aus dem Behälter in den Metallsarg. Die Türken brüllten und klopften verzweifelt gegen die Wand, die sie erdrückte, doch der Lastwagen setzte seine Fahrt unbeirrt fort. Talat hatte begriffen, dass niemand sie vor ihrer Ankunft befreien würde, dass sie durch Schreien oder irgendwelche Bewegungen die schädliche Wirkung der Säure nur verstärken würden. Reglos hatte er dagelegen und so wenig wie möglich geatmet.
    An der italienischen Grenze hatten sich die illegalen Einwanderer an den Händen gefasst und gebetet. An der deutschen Grenze waren die meisten tot. In Nancy, wo die Ersten aussteigen sollten, hatte der Chauffeur dreißig nebeneinander liegende Leichen entdeckt, beschmutzt von Urin und Exkrementen und mit offenem, krampfhaft verzerrtem Mund.
    Nur ein Jugendlicher hatte überlebt, allerdings mit zerstörtem Atemsystem. Luftröhre, Kehle und Nasennebenhöhlen waren unheilbar verbrannt - der Junge würde nie wieder etwas riechen. Seine Stimmbänder waren verätzt, seine Stimme klang wie das Kratzen von Schmirgelpapier. Wegen einer chronischen

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