Das Imperium
dass die Einsatzgruppen vom Boden aus nicht nahe genug an das Feuer herankamen, um es zu bekämpfen. Drei weitere Helikopter ließen Löschschaum fallen und Raymond begriff: Es ging gar nicht darum, eventuelle Überlebende zu retten. Es sollte vor allem verhindert werden, dass das Feuer auf andere Gebäude übergriff.
Erneut drängte der Junge nach vorn. »Ich muss dorthin. Meine Brüder, meine Mutter…« Er rutschte auf dem grünweißen Schaum aus.
Wieder hielt ihn ein Polizist zurück. »Das hat keinen Sinn, Junge. Dort gibt’s nur noch Asche und Zahnplomben.«
Bevor Raymond etwas erwidern konnte, geriet die Menge in Bewegung. Ein Helikopter war zu weit geflogen und die Hälfte seiner Löschfracht fiel auf die Polizisten und die vorderen Reihen der Schaulustigen. Die Leute wichen zurück und Raymond wurde von der amöbenartigen Bewegung mitgerissen. Von hinten griff jemand nach seinem Arm und zog ihn fort. Raymond versuchte, Widerstand zu leisten, aber eine zweite, schaumbedeckte Hand schloss sich um den anderen Arm. Seine Stimme verlor sich im allgemeinen Lärm.
Drei große, schlicht gekleidete Männer dirigierten den Jungen unauffällig durch die Menge und zu einer Seitenstraße, wo die Schaulustigen weniger dicht beieinander standen. Raymond kannte die Männer nicht und in ihren Gesichtern sah er nur ernste Entschlossenheit.
»Lasst mich los!« Er trat zu und traf ein Schienbein, aber die Miene des betreffenden Mannes blieb unverändert. Er schien überhaupt keinen Schmerz zu spüren.
Neben einem Gebäude stand ein Fahrzeug mit laufendem Motor bereit. Furcht quoll in Raymond empor. Dies war zu viel für ihn – nach dem Feuer und dem Tod seiner Familie.
Er begann zu zappeln und es gelang ihm, einen Arm zu befreien. Sofort ballte er die Faust und schlug zu, traf einen der Männer an den Rippen. Doch der Schlag schien ihm selbst mehr Schmerzen zu bereiten als dem Getroffenen.
Die Tür des wartenden Fahrzeugs öffnete sich wie ein dunkles Maul, das den Jungen verschlingen wollte.
»Wer seid ihr? Lasst mich los!«, schrie Raymond aus vollem Hals. »Hilfe!« Er wusste, dass es keinen Zweck hatte – in dem Lärm hörte ihn niemand.
Ein blonder Mann mit eisblauen Augen kam aus dem Fahrzeug, eine Strahlwaffe in der Hand. »Dieser Stunner hinterlässt keine Spuren, junger Mann«, sagte er mit ruhiger Stimme und fast im Plauderton. »Es ist mir gestattet, davon Gebrauch zu machen, wenn du mir keine Wahl lässt.«
Raymond zappelte noch heftiger, woraufhin der blonde Mann den Auslöser der Waffe betätigte.
Die Entführer trugen den betäubten Jungen ins Fahrzeug. Die Tür schloss sich, und der Wagen glitt fort.
26 CESCA PERONI
Ganz gleich, wie sehr Außenstehende und Ereignisse die Roamer unter Druck setzten: Sie gaben nie auf und blieben stark. Widrigkeiten und Probleme stimulierten und inspirierten die Kultur der Roamer, ließen immer wieder neue Ideen entstehen. Einige von ihnen waren unpraktisch oder extrem exzentrisch. Andere erwiesen sich als innovativ und gaben den sehr auf ihre Unabhängigkeit bedachten Clans die Möglichkeit, dort zu leben, wo die meisten Menschen eine Existenz für unmöglich gehalten hätten.
Im Asteroidengürtel eines roten Zwergsterns hatten die Pioniere von der Kanaka einen ersten Stützpunkt aufgebaut, der im Lauf vieler Jahrzehnte immer mehr gewachsen war. Inzwischen stellte Rendezvous eine wundervolle Mischung aus Raumhabitaten und ausgehöhlten Asteroiden dar, einen verstreuten felsigen Archipel in der Umlaufbahn einer blutroten Sonne.
Die vielen großen und kleinen Felsbrocken waren Überbleibsel des kollabierenden Protosterns – ihre Masse hatte nicht ausgereicht, um zu einem Planeten zu werden. In Rendezvous gab es sowohl zahlreiche Anlegestellen für große und kleine Raumschiffe als auch getarnte Depots für die Lagerung von Ekti.
Die Roamer waren ans Leben in geringer Schwerkraft gewöhnt, benutzten Schutzanzüge und Düsentornister, um von einem Habitat zum nächsten zu gelangen. Flexible Kabel verbanden einige der inneren Asteroiden. Mattes Sonnenlicht fiel auf reaktive Membranen und Kollektoren, die genug Energie für die Siedlung lieferten.
Cesca Peroni hatte den größten Teil ihres Lebens an diesem Ort verbracht. Sie hielt Rendezvous ganz und gar nicht für seltsam.
Zusammen mit Jhy Okiah saß sie im Büro des Sprechers, das sich im Innern des größten Asteroiden von Rendezvous befand. Bei den Pflichten des Sprechers ging es vor allem darum, Streit
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