Das Implantat: Roman (German Edition)
Mundwinkel und ein fragendes Grinsen auf den Lippen. Leise wie Katzen treten auch seine drei Freunde zu uns heraus, sammeln sich um den Cowboy und lassen ihre Blicke durch die Dunkelheit schweifen.
Ich lehne an einem kleinen Wellblechschuppen, der vor der Lagerhalle steht, habe die Arme um den Körper geschlungen und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich zittere.
»Junge, Junge«, lacht Lyle. Er wartet ein paar Sekunden, aber ich habe nichts zu sagen. Oder zumindest weiß ich nicht, wie ich es sagen soll.
»Wenn du dich dadurch besser fühlst«, meint Lyle, »du bist nicht der Einzige, dem da drin das Essen hochgekommen ist.«
Ich wische mir über den Mund und spucke aus.
»Hab eine alte Frau gesehen, die einem Normalo direkt in den Nacken gekübelt hat«, fährt Lyle fort. »War ganz schön eklig.«
Ich muss gegen meinen Willen grinsen. »Ist der andere Typ, ähm, noch am Leben?«
»Sicher, Brain hat ihn nur ein bisschen durchgewalkt. Muss ja auch irgendwie sein Geld verdienen. Der große Kerl ist keineswegs ein hirnloser Fleischberg. Hat ein Hirn wie ein Delphin.«
Ich hebe die Brauen.
»Eine Hälfte schläft, während die andere wach ist. Deswegen ertrinken Delphine nachts nicht. Der alte Bursche kann gewisse Teile ein- und andere ausschalten. Für Zenith-Träger wie uns sind das natürlich bloß Basisfunktionen. Kinderkram. Er ist schlau, aber nicht so schlau wie
wir.
«
Lyle legt zwei Finger aneinander und beschreibt damit einen kleinen Kreis in der Luft.
»Ihr habt alle Zeniths«, stelle ich fest.
Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Valentine. Stilman. Daley. In dem Durcheinander da drin habe ich die Namen nicht gleich erkannt. Sie sind weitere Mitglieder des Echo Squad, die in der Polizeidurchsage genannt wurden. Die alle gesucht werden, weil man sie wegen terroristischer Aktivitäten »befragen« möchte. Wie Lyle. Wie ich.
»Stilman ist für das Gebiet um Chicago zuständig«, erklärt Lyle. »Daley kümmert sich um Houston, Val um Detroit.«
Die Männer sehen kurz zu mir herüber und blicken dann wieder wachsam in die Dunkelheit hinaus. Ich frage mich, wonach sie wohl Ausschau halten. Wer oder was, glauben sie, könnte sich im grasigen Zwielicht an uns heranschleichen?
»Worum kümmern sie sich denn dort?«, frage ich.
Lyle zieht die Brauen hoch. Auf seinem Cowboyhut glänzen Bierspritzer im Mondlicht. »Um den Amp-Widerstand natürlich, Mann. Astra. Wir sind die einzige echte Gruppe im Land, die Amps einen gewissen Schutz bietet.«
Stilman holt eine elektrische Zigarette aus seiner Hemdtasche. Beißt den Aktivator ab und spuckt ihn auf den Boden. »In meinem Distrikt leben ungefähr dreißigtausend Zivilisten, die Amps tragen«, sagt er. »Wenn man die Familien mitzählt, sind es viermal so viele Leute. Amp-tragende Soldaten habe ich ungefähr tausend. Hundert, die was wert sind. In ganz Chicago.«
Angewidert verzieht Stilman das Gesicht.
»Das Uplift-Programm hat sich ursprünglich hauptsächlich auf kleine Kinder und Veteranen konzentriert«, fügt Lyle hinzu. »Ein paar der Kinder sind inzwischen alt genug, um zu kämpfen, aber die meisten sind es nicht. Die Leute sind nur dann bereit zu kämpfen, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Deshalb sind wir immer auf der Suche nach weiteren Mitstreitern.«
Stilman nickt und zieht an seiner Zigarette.
Daley ergreift das Wort, ohne mich anzusehen. »In meinem Gebiet in Texas sind es sechzigtausend. Ist eine ländliche Gegend, wie hier. Das bedeutet einzelne, über das Gebiet verteilte Ansammlungen von ein paar hundert bis zu ein paar tausend Leuten. Schwer zu schützen. Meine Soldaten sind ständig auf Achse.«
Valentine, der ein bisschen größer und dünner ist als die anderen beiden, spricht mit leiser Stimme. »Ich habe hunderttausend Leute. Vermutlich vierzigtausend davon Amps. Sie leben alle in verlassenen Vororten von Detroit, wo sich niemand um sie kümmert. Sind einfach zu schützen. Das Schwierigste ist, sie davon abzuhalten, sich gegenseitig umzubringen.«
Diese Männer sind Generäle. Jetzt verstehe ich, was sie dort draußen in der Dunkelheit sehen: einen Krieg. Und ich befinde mich die ganze Zeit schon mittendrin, ohne die geringste Ahnung zu haben – wie eine Schildkröte, die über einen Highway kriecht.
»Was ist mit dir, Lyle?«, erkundige ich mich.
»Ich bin für das Gebiet um Oklahoma City zuständig, aber öfter mal unterwegs«, antwortet er, ohne das näher zu erläutern.
Weitere Kostenlose Bücher