Das Inferno Roman
schon auf dumme Gedanken kommen?«
»Damit forderst du den Ärger doch geradezu heraus«, sagte Barbara. »Außerdem kommen die Autos zwar von hier weg, aber nicht weit.«
Eine Zeit lang beobachteten sie, wie die Wagen sich vom Ende der Staus rückwärts entfernten, drehten und Richtung Süden davonfuhren. In einiger Entfernung konnte Barbara aber schon die nächsten Rückstaus am Venice Boulevard ausmachen. Autos, die sich in diese Richtung bewegten, würden bald wieder stehen.
Ungefähr die Hälfte fuhr geradewegs zum Venice Boulevard, andere versuchten ihr Glück in den kleineren Seitenstraßen.
»Vielleicht sollten wir es probieren«, meinte Pete. »Wenn uns irgendjemand auch nur ein Stück mitnimmt, sparen wir viel Zeit. Solange es in die richtige Richtung geht, wären ein paar Blocks schon besser als nichts.«
»Ich weiß nicht«, meinte Barbara.
Schon als sie ein Kleinkind war, hatten Mom und Dad sie davor gewarnt, sich mit Fremden abzugeben. Man redete nicht mit Fremden, und man glaubte nichts, was einem ein Fremder erzählte, und schon gar nicht stieg
man in den Wagen eines Fremden ein. Mit Schilderungen, was alles im Auto eines Fremden passieren konnte, hatte Dad ihr ordentlich Angst eingejagt. Ich kann dir gar nicht sagen, was da alles passieren kann. Es gibt Geisteskranke, die mit jungen Mädchen Dinge anstellen, über die ich nicht mal nachdenken will.
Barbara hatte oft darüber nachgedacht, was Dad gemeint hatte.
Offen ausgesprochen und erklärt hatte er es nie. Aus dem Fernsehen und von ihren Freundinnen hatte Barbara es sich aber so weit zusammenreimen können: Die Männer, die dich mitnahmen, entführten dich und hielten dich gefangen. Sie zwangen dich, deine Kleider auszuziehen, und dann taten sie dir etwas an. Sie taten dir dort weh, wo es am schlimmsten war. Und danach erstickten sie dich oder schossen dir in den Kopf oder zerhackten dich und warfen dich weg.
Jahrelang hatte sich Barbara so ihr unweigerliches Schicksal vorgestellt, sollte sie einmal in den Wagen eines Fremden gelockt oder gezerrt werden.
Vor kurzem hatte sie einige Bücher über Serienkiller gelesen. Und zu ihrem Erschrecken herausgefunden, dass ihre kindlichen Angstvorstellungen fast putzig waren, verglich man sie mit der Realität.
Du konntest dich glücklich schätzen, wenn sie dich nur vergewaltigten und ermordeten. Wenn du nicht so viel Glück hattest, brachten sie Zangen zum Einsatz, verbrannten dich mit Streichhölzern oder Zigaretten, schnitten deine Finger, Zehen oder Nippel mit der Heckenschere ab oder folterten dich mit Schraubenziehern, abgebrochenen Flaschen, Besenstielen oder Gott weiß was. Und all das, bevor du tot warst.
Dad hatte Recht gehabt: Darüber wollte man gar nicht erst nachdenken.
Aber wir sind zu viert , rief sich Barbara wieder ins Gedächtnis. Und es handelt sich um einen Notfall. Die meisten Leute sind ganz normale morgendliche Pendler. Und …
»Okay«, sagte sie, »wir können es probieren. Aber ich steige nur in einen Wagen, der von einer Frau gefahren wird.«
»Schon klar«, stichelte Earl. »Als ob sämtliche Frauen Heilige wären!«
»Jedenfalls sind sie im seltensten Fall Vergewaltiger und Mörder«, stellte Barbara fest.
Er schmollte.
»Warum fragen wir nicht einfach jemanden, der hier wartet?«, schlug Heather vor, als sie an der Autoschlange vorbeiliefen. »Wäre das nicht einfacher, als zu trampen?«
»Da wird keiner mitspielen«, sagte Earl. »Wir sind zu viele. Keine Chance. Die werden Angst kriegen. Wir müssen überlegen, was wir jetzt machen.«
Er führte sie ans Ende der Schlange. Sie warteten, bis ein paar Wagen gedreht hatten. Dann eilten sie zur anderen Seite und brachen in südlicher Richtung auf. Dabei wurden sie von einigen Wagen passiert. Zwei bogen an der nächsten Kreuzung ab.
»Dort werden wir jemanden finden«, sagte Earl. »Willst du der Lockvogel sein, Heather?«
»Ich? Was?«
»Der Lockvogel. Du stehst gut sichtbar da und bringst jemanden zum Anhalten. Der Rest von uns versteckt sich. Wenn du die Tür öffnest, kommen wir angerannt und springen ins Auto.«
»Clever«, meinte Barbara.
»Ist denn die Heimlichtuerei überhaupt nötig?«, fragte Pete.
»Kommt drauf an. Willst du mitfahren oder laufen? Wenn du mitfahren willst, dann nur so.«
Sie erreichten die nächste Ecke.
Zu ihrer Rechten zog sich die 15. Straße bis zum Horizont.
Nach einer guten Gegend sah es hier nicht aus. Auf beiden Seiten der Straße standen zweistöckige Holzhäuser
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