Das Inferno
sagte Tweed besorgt.
»Sehen Sie her.«
Aus ihrer kleinen Handtasche holte Lisa ein paar Haarklammern, mit deren Hilfe sie ihre rote Mähne hochsteckte.
Dann nahm sie das Dreieckstuch, das sie über dem Arm gehabt hatte und das jetzt neben ihr auf dem Sofa lag, und band es sich wie ein Kopftuch um. Der nächste Gegenstand, den sie aus ihrer Handtasche hervorzauberte, war eine große Brille mit dünnem Hornrand, die sie sich auf die Nase setzte. Als sie auch noch einer kleinen Metallschachtel einen Zigarillo entnahm und ihn sich in den Mund steckte, sah sie völlig verändert und sehr viel weniger attraktiv aus.
»Na, was sagen Sie dazu?«, fragte sie.
»Erstaunlich. Vermutlich haben Sie diese Tricks bei der Sicherheitsfirma in New York gelernt.«
»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, Mister.«
Ihr Akzent war so überzeugend amerikanisch, dass Tweed ihr leise Beifall klatschte.
»In den Kneipen habe ich meine Drinks kaum angerührt, ich wollte ja nüchtern bleiben. Erst in der sechsten hatte ich endlich Erfolg«, erzählte Lisa, nachdem sie den Zigarillo aus dem Mund genommen hatte. »Wen, glauben Sie, habe ich da sitzen gesehen? Unseren Mann im rosa Hemd, nur dass er diesmal ein blaues anhatte.«
»Wir wissen inzwischen seinen Namen. Er heißt Oskar Vernon und wohnt im Fünf-Sterne-Hotel Atlantic an der Außenalster.«
»Schön, dass ich das auch erfahre.« Lisa lächelte. »Nun gut, dieser Oskar Vernon sprach mit meinem alten Freund Barton, der mir vom Bedford Square noch in unangenehmer Erinnerung ist. Ich habe sehr gute Ohren, deshalb habe ich alles mitbekommen, was die beiden da geflüstert haben. ›Wir werden ein Blutbad unter Tweed und seinen Leuten anrichten‹, hat dieser Vernon gesagt. ›Die radieren wir ein für allemal aus, und zwar bald. Wir müssen sie nur aus der Stadt locken. Ich habe auch schon einen Plan dafür.‹ Nachdem ich das gehört hatte, habe ich beschlossen, lieber das Weite zu suchen. Ach, übrigens, Vernons Hemd hatte einen Stich ins Violette. Igitt.«
»Jetzt wissen wir also, was sie vorhaben.«
Lisa griff nach ihrem halb leeren Glas, stellte es aber, ohne daraus zu trinken, wieder zurück auf den Tisch. Dann band sie sich das Tuch vom Kopf und nahm die Brille ab, die ihr das Aussehen einer Lehrerin verliehen hatte. Auf einmal wirkte sie so, als ob sie ihr letztes Quäntchen Energie verbraucht hätte.
Langsam begann sie zur Seite zu sinken, und Tweed sprang auf, setzte sich neben sie und stützte sie. Lisa fielen die Augen zu, und nur unter größter Kraftanstrengung gelang es ihr, sie wieder zu öffnen.
»Ich bin völlig kaputt«, krächzte sie heiser. »Ich kann die Beine nicht mehr bewegen. Ich möchte nur noch schlafen. Am besten eine ganze Woche lang…«
Wieder schloss sie die Augen und kippte um. Tweed konnte gerade noch ein Kissen schnappen und es sich auf den Schoß legen. Lisas Kopf sank nieder und gleich darauf war sie fest eingeschlafen. Er beugte sich vor, nahm ihre Beine und legte sie ebenfalls auf die Couch. Dabei öffnete sie ihre grünen Augen halb.
»Danke«, murmelte Lisa. »Ich weiß übrigens, dass sie den armen Mark erschossen haben. Ich habe seine Leiche auf dem Gehsteig gesehen, als ich zurück ins Hotel kam…«
Danach schlief sie auf einmal tief und fest. Tweed verstand jetzt, weshalb sie vorhin so seltsam gewesen war. Der Anblick von Mark Wendover, dem der halbe Kopf weggerissen worden war, musste sie zutiefst erschüttert haben. Er lehnte sich zurück, und wenige Minuten später war auch er eingeschlafen.
Als Tweed am Morgen erwachte, lag Lisas schlafender Kopf noch immer auf seinem Schoß, und durch die Ritzen zwischen den Vorhängen drang helles Tageslicht in die Suite. Tweed fühlte sich steif wie ein Brett, trotzdem hatte er ohne Unterbrechung durchgeschlafen. Weil er Lisa nicht wecken wollte, blieb er so lange still sitzen, bis sie von selbst aufwachte.
Sie öffnete die Augen und lächelte ihn an. Dann hob sie den Kopf, setzte sich auf und stellte die Beine auf den Boden.
»Eine Dusche«, murmelte sie und unterdrückte ein Gähnen.
»Ein Königreich für eine Dusche…«
Tweed deutete auf das Badezimmer und sagte ihr, sie solle sich ruhig Zeit lassen. Er selbst werde dann nach ihr duschen.
»Ich lasse uns ein Frühstück aufs Zimmer bringen«, rief er Lisa hinterher.
»Aber ist das nicht verfänglich? Was wird der Zimmerkellner denken?«
»Wen kümmert es, was der Zimmerkellner denkt? Was hätten Sie denn gern zum
Weitere Kostenlose Bücher