Das Inferno
inzwischen die Bordkarte wieder unter den Griff des Koffers gesteckt hatte.
»Mr. Tweed, darf ich Sie jetzt zu meinem Partner bringen?«
Paula blieb in der Mitte des Raumes stehen, in den sie Rondel zusammen mit Newman geschickt hatte. Auf einmal kam ihr wieder die seltsame Botschaft in den Sinn, die Lisa, als sie damals mit Gehirnerschütterung im Krankenhaus lag, herausgekrächzt hatte.
Ham… Dan… Vier Ja.
Ham
bedeutete Hamburg,
Vier Ja
das Hotel Vier Jahreszeiten.
War es möglich, dass das
Dan
für Danzer stand, den Chauffeur, der sie ins Haus gelassen hatte?
Rondel führte Tweed einen langen Gang entlang, an dessen Ende sich ein großes Gewächshaus mit exotischen Pflanzen befand. Dort saß Rondels Partner in einem Korbstuhl mit hoher, gerader Lehne und pickte sich mit einem seiner Elfenbeinzahnstocher im Mund herum.
Vor dem Stuhl standen auf einem Glastisch die Reste eines Frühstücks. Als er Tweed sah, legte er den Zahnstocher in sein silbernes Etui zurück und steckte es in eine Tasche seines Leinenjacketts.
»Hier ist der Herr, den Sie sehen wollten«, sagte Rondel.
»Vielen Dank. Und lassen Sie seine Begleiter nicht gehen.
Eventuell komme ich später noch dazu, sie persönlich zu begrüßen«, sagte der Mann im Korbstuhl. »Wollen wir nicht hinaus in den Garten gehen, Mr. Tweed? Dort können wir uns ungestört unterhalten. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Er sprach langsam und artikulierte dabei sorgfältig jedes einzelne Wort, was Tweed dem Temperament seines Gegenübers zuschrieb. Er kam ihm wie ein sehr bedächtiger Mann vor.
»Nur Wasser, bitte.«
Nachdem sein Gastgeber ihm ein Glas Wasser eingegossen hatte, führte er ihn hinaus in den kleinen Park, in dem viele Blumen blühten, darunter auch wunderschöne Hortensien.
Mehrere gewundene Gehwege verschwanden irgendwo zwischen Büschen und Bäumen. Rondels Partner spazierte gemächlich einen der Wege entlang, wobei Tweed stumm neben ihm her ging. Er wartete, bis sein Gastgeber zur Sache kam.
»Ich werde Ihnen jetzt etwas mitteilen, was nur ganz wenige Menschen auf der ganzen Welt wissen. Mein Name ist Milo Slavic. Daran, dass ich Ihnen meinen Namen nenne, können Sie sehen, wie sehr ich Ihnen vertraue.«
»Und warum tun Sie das?«, sagte Tweed.
»Weil ich jeden, den ich an mich heranlasse, vorher peinlich genau überprüfe.« Er sprach das Adjektiv ›peinlich‹ so gedehnt aus, dass es fast wie zwei einzelne Worte klang. »Ich habe Sie auf zwei Kontinenten durchchecken lassen, Tweed. Sie sind ein einzigartiger Mann. Übrigens, ich schmeichle nie.«
»Warum haben Sie mich herbestellt?«
»Darüber hinaus sind Sie sehr direkt. Das gefällt mir. Finden Sie nicht auch, dass ein wesentliches Merkmal unserer heutigen westlichen Regierungen ihre eklatante Führungsschwäche ist? Brauchen wir nicht Staatsmänner, die Stärke zeigen?«
»Hängt ganz davon ab, was man unter Stärke versteht. Im vergangenen Jahrhundert hatten wir in Europa eine ganze Reihe von so genannten starken Männern. Adolf Hitler, Benito Mussolini, Josef Stalin. Wollen Sie so etwas wirklich wieder haben?«
»Als diese Männer an die Macht kamen, herrschte das Chaos.
Die Massen waren verunsichert und sehnten sich nach einer starken Hand. Wäre es nicht denkbar, dass so etwas heute wieder passiert?«
»Sind Sie eigentlich ein Nachkomme einer frühen Linie der Frankenheim-Dynastie?«, fragte Tweed unvermittelt.
»Aha!«, rief Tweeds Gastgeber aus und lachte leise.
»Manchmal wiederholt sich die Geschichte. Sie haben sich offenbar über die Frankenheims bestens informiert. Tja. Der erste Frankenheim nahm diesen Namen übrigens an, weil er sich damit als Jude ausgeben konnte, um so das Vertrauen von Meyer Amschel erringen zu können, jenem, der das Haus Rothschild begründet hat. Das war Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Nachdem Frankenheim von seinem Mentor in alle Geheimnisse des Bankwesens eingeweiht worden war, verließ er ihn und gründete in Paris seine eigene Bank. Machen wir jetzt einen Zeitsprung ins Jahr 1940. Damals war ich ein junger Mann und lernte den letzten Frankenheim kennen; er war kinderlos.
Ich verfügte über eine mathematische Begabung und konnte deshalb ein schwieriges buchhalterisches Problem für ihn lösen.
Frankenheim besorgte mir einen Schweizer Pass und machte mich zum Direktor seiner Zürcher Bank. Erst als er starb, fand ich heraus, dass er mich zu seinem Universalerben eingesetzt hatte. Ich habe Ihnen soeben eine
Weitere Kostenlose Bücher