Das Inferno
»Ich möchte ja nicht gefühllos erscheinen, aber es gehört nun mal zu unserem Geschäft, dass jemand dabei sein Leben lassen kann.«
»Scheint mir ein recht gefährliches Geschäft zu sein«, sagte Barford.
»Wie gefährlich meinen Sie denn?«, sagte Tweed. »Vielleicht könnten Sie uns da einen Hinweis geben, da Sie ja offenbar sehr viel mehr wissen als wir.«
»Wie kommen Sie denn darauf? Ich bin rein geschäftlich hier.« Er stand auf. »Aber jetzt muss ich gehen…«
Newman, der Barford genau beobachtet hatte, wartete, bis dieser das Restaurant verlassen hatte.
»Das war wirklich seltsam«, sagte er dann. »Sein Ton hat mir überhaupt nicht gefallen. Er klang fast so, als ob er uns Befehle geben wollte.«
»Und mir hat
er
nicht gefallen«, sagte Lisa. »In Barford Hall in Essex war er ein Ausbund an Höflichkeit, und jetzt kommt er mir wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde vor. Wie Hyde, um es genauer zu sagen. Tja. Oh, ich bin ganz durchgeschwitzt, weil ich in der brütend heißen Lounge so lange auf Sie gewartet habe. Deshalb würde ich jetzt gern auf mein Zimmer gehen, um kurz unter die Dusche zu springen. Vielen Dank für das Essen – und Ihre nette Gesellschaft…«
»Wenigstens hat uns Rondels Partner nicht dazu aufgefordert, die Stadt zu verlassen«, sagte Paula. »Im Gegenteil, er wollte sich sogar noch mal mit Ihnen treffen, Tweed.«
»Das stimmt. Aber ich frage mich, weshalb seine Buchhalterin mich sprechen will. Milo meinte, sie habe ein aufbrausendes Temperament.«
»Milo?«, fragte Paula. »Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass Sie diesen seltsamen Namen erwähnen.«
»So will Rondels Partner genannt werden, wenn ich von ihm spreche.«
»Klingt nach Balkan«, meinte Newman.
»Er sagt, dass er aus Slowenien kommt. Ein ziemlich abgelegenes Land.«
»In dem es bestimmt nicht besonders leicht ist, irgendwelche Angaben nachzuprüfen. Meinen Sie, er könnte Rhinozeros sein?«
»Also ich persönlich tippe auf Lord Barford«, sagte Paula.
Als Gavin Thunder auf dem Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel gelandet war, verschwand er als Erstes in einer Toilette und nahm Mütze und Augenklappe ab, die er auf dem Weg zur Passkontrolle in einen Abfalleimer steckte. Hier in Deutschland hatten bislang weder Fernsehen noch Zeitungen sein Bild sonderlich oft gebracht, sodass er nicht befürchten musste, von irgendjemandem erkannt zu werden.
Er nahm ein Taxi zum Hotel Atlantic, wo er sich als A.
Charles einschrieb und dann von einem Pagen auf seine Suite bringen ließ. Als er allein war, sah er auf die Uhr. Sein Besucher musste bald hier sein. Nachdem er sich einen doppelten Scotch aus der Minibar eingeschenkt hatte, sah er sich in der Suite um und beschloss, dass er wohl am eindrucksvollsten wirkte, wenn er sich hinter den großen Barockschreibtisch setzte.
Außerdem fand er es besser, seinen Anzug anzuziehen, damit wirkte er seriöser. Nachdem er das getan hatte, befestigte er noch schnell das umgedrehte »E« an der Innenseite des Jackettaufschlags. Gerade als er damit fertig war, klopfte es laut und vernehmlich an der Tür. Gavin setzte sich hinter den Schreibtisch und rief: »Herein!«
Oskar Vernon, der heute ein schreiend orangefarbenes Hemd unter einem hellgrauen Anzug trug, kam lässigen Schritts in die Suite spaziert. Da er sein Jackett nicht zugeknöpft hatte, konnte Thunder sehen, wie ihm sein dicker Bauch über den Hosenbund hing. Während Thunder noch auf Vernons schrilles Outfit starrte, schloss dieser die Tür hinter sich und sah sich dann in der Suite um.
»Dieses Hemd macht Sie nicht gerade unauffällig«, meinte Thunder kritisch.
»So was nennt man einen doppelten Bluff«, entgegnete Vernon. »Wenn man sich so kleidet wie ich, fällt man zunächst zwar allen Hotelgästen auf, aber dann gewöhnen sie sich daran und nehmen einen nicht mehr wahr. Alles eine Frage der Psychologie.«
»Setzen Sie sich. Wir haben nicht ewig Zeit.«
»Wenn wir wollen, können wir uns den ganzen Tag Zeit nehmen.«
Vernon war nicht der Mann, der sich ohne weiteres einschüchtern ließ. Er hatte längst erkannt, weshalb Thunder hinter dem ausladenden Schreibtisch saß, und verschmähte deshalb den niedrigen Stuhl davor, den dieser ihm zugewiesen hatte. Stattdessen schob er ihn beiseite und holte sich von der Wand neben dem Fenster einen ähnlichen Stuhl wie den, auf dem der Rüstungsminister saß. Nachdem er ihn vor den Schreibtisch gestellt hatte, ließ er sich aufreizend langsam darauf nieder, schlug die
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