Das Inferno
Sie hörten, wie Rondel in mehreren Sprachen seine Instruktionen über den Lautsprecher gab. Die Besucher durften auf der Insel die markierten Pfade nicht verlassen und auf keinen Fall die Bereiche betreten, die mit ›Verboten‹-Schildern gekennzeichnet waren.
Als alle Touristen von Bord waren, führte Rondel seine Gäste eine Treppe hinauf, die am Fuß einer fast senkrecht aufragenden Felswand endete. Schon beim Blick hinauf verspürte Paula einen Anflug von Höhenangst. Mit einer einladenden Handbewegung deutete Rondel auf eine Doppeltür in der Felswand und tippte dann auf einem Nummernblock daneben eine vierstellige Kombination ein. Paula, die ihm dabei genau auf die Finger sah, merkte sich die Zahlen. 3-5-9-1. Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf eine mit Spiegelwänden und Teppichboden ausgestattete Liftkabine von der Größe eines Lastenaufzugs frei. Alle stiegen ein, und Rondel drückte einen Knopf. Der Aufzug bewegte sich langsam nach oben.
Als sich die Türen wieder öffneten, ging Rondel voraus in ein geräumiges Wohnzimmer, wo er an einer weiteren Tür klopfte.
Sie führte in ein längliches Arbeitszimmer, an dessen Ende ein vom Boden bis zur Decke reichendes Panoramafenster einen herrlichen Ausblick auf die weite, blaue Fläche der Ostsee bot.
Vor diesem Fenster saß Milo Slavic an einem Schreibtisch. Als er seine Besucher sah, erhob er sich.
»Willkommen auf der Insel Berg, Mr. Tweed. Wir beide müssen uns unterhalten. Hätten Sie vielleicht Lust, mit mir einen kleinen Spaziergang zu machen?«
»Gern. Aber dürfte ich meine Assistentin Paula mitnehmen?«
»Miss Grey ist mir immer willkommen. Bitte folgen Sie mir.«
Auf dem Weg zur Tür drehte er sich noch einmal um. »Blondel, kümmern Sie sich bitte inzwischen um unsere anderen Gäste.«
Blondel.
Bei diesem Wort huschte ein Schatten der Verärgerung über das Gesicht des Angesprochenen. Er ließ sich aber nichts anmerken und verbeugte sich nur kurz in Slavics Richtung.
Sieh mal einer an, dachte Paula bei sich.
Milo Slavic war etwas kräftiger gebaut als Tweed und wirkte jetzt, nachdem er aufgestanden war, viel größer, als er Paula hinter dem Schreibtisch vorgekommen war. In seinem hellen Leinenanzug und dem bis ganz oben zugeknöpften Hemd erinnerte er sie an die Bilder von kommunistischen Kommissaren, die sie einmal gesehen hatte.
Slavic verließ mit ihnen das Arbeitszimmer durch eine andere Tür, die hinter ihnen mit einem leisen Klicken ins Schloss fiel.
Dann führte er sie einen langen Gang entlang, von dem aus man durch in der Wand eingelassene Fenster in diverse Räume blicken konnte. Vor einem dieser Fenster blieb er stehen und zeigte Tweed und Paula einen Raum, in dem ein paar junge Frauen in weißen Laborkitteln vor Computerbildschirmen saßen.
»Das ist unser Entschlüsselungsraum«, erklärte Slavic. »Diese Frauen suchen im Internet ständig nach verschlüsselten Botschaften, die sie dann dekodieren und mir bringen. Auf diese Weise habe ich herausgefunden, dass wir vor einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes stehen. Wir können sie nur verhindern, wenn wir sofort handeln. Bei unserer Unterhaltung in Hamburg habe ich den Eindruck gewonnen, dass auch Sie etwas gegen Diktaturen mit einem starken Mann an der Spitze haben, Diktaturen, wie sie Gavin Thunder am liebsten in den wichtigsten Ländern der westlichen Welt installieren würde.«
»Das ist richtig.«
»Viele gescheite Leute sind heutzutage der Meinung, dass wir mehr Disziplin brauchen – in unseren Schulen genauso wie im öffentlichen Leben. Dem stimme ich zu. Aber Thunder versucht, aus dieser Stimmung Kapital zu schlagen und diktatorische Macht zu erringen. Dabei ist ihm das Gemeinwohl völlig schnuppe. Solche Bestrebungen müssen gestoppt werden. Ich weiß, dass er seine Befehle übers Internet gibt, und deshalb habe ich eine Methode entwickelt, mit der ich diese Kommunikation unterbinden kann. Kommen Sie mit.«
Slavic ging weiter den Korridor entlang und blieb schließlich vor einer massiven Stahltür stehen, neben der sich ein Ziffernblock, ähnlich dem unten am Aufzug, befand.
»Sehen Sie mir gut zu, und prägen Sie sich den Code ein.«
Langsam drückte er eine Folge von sieben Zahlen, die Paula sich merkte und gleich darauf in ihr Notizbuch schrieb. 8-9-2-57-5-1. Slavic hob die Augenbrauen, und Paula zeigte ihm das Notizbuch. Sie hatte die Zahlen mit umgekehrter Reihenfolge aufgeschrieben.
»Schlaues Kind«, sagte Slavic lächelnd.
Die Tür
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