Das Inferno
glatt wie ein Dorfteich. Kein Lüftchen regt sich, aber der Salon, den ich für uns habe reservieren lassen, verfügt über eine Klimaanlage. So sind wir unter uns und bekommen von den Touristen nicht das Geringste mit. Sehen Sie, hier sind wir schon. War doch nicht so weit, oder?« Rondel nahm galant Paulas Arm und deutete auf den Passagierdampfer, der vor ihnen lag. »Aber Sie müssen sich nicht hetzen, ohne mich darf der Kapitän nämlich nicht ablegen…«
Der weiß gestrichene Dampfer war ziemlich groß. Er verfügte über drei Decks und zwei Schornsteine, zwischen denen fünf Flaggen schlaff herunterhingen. Es wehte tatsächlich überhaupt kein Wind.
»Wieso fünf verschiedene Flaggen?«, fragte Paula.
»Das sind die Fahnen von Deutschland, Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland, aber was es damit auf sich hat, erkläre ich Ihnen, sobald wir es uns im Salon bequem gemacht haben. Gestatten Sie, dass ich Sie an Bord geleite…«
An seinem Arm führte er Paula über die Gangway auf den Dampfer. Oben an der Reling drängten sich die Touristen und glotzten neugierig zu ihnen herab. Vermutlich fragten sie sich, wer wohl die Ehrengäste waren, auf die der ganze Dampfer hatte warten müssen. Drinnen im Schiff öffnete Rondel eine Tür und ließ Paula in einen großen, luxuriös eingerichteten Salon treten, in dem sich lediglich ein weiß uniformierter Kellner befand.
Als auch die anderen an Bord waren, machten die Matrosen die Taue los und zogen die Gangway an Bord. Der Dampfer setzte sich in Richtung Travemündung in Bewegung. Rondel ließ Paulas Arm los, und sie sah ihn an. Seine Haut war dunkler gebräunt, als sie es bei ihrer letzten Begegnung in Hamburg gewesen war, und bildete einen starken Kontrast zu seinem eleganten weißen Jackett und seiner weißen Seglermütze. Paula fand, dass er unverschämt gut aussah.
Sie ging zu einem Bullauge des Salons und sah hinaus auf die Häuser von Travemünde, die an dem Schiff vorüberglitten. Als sie an dem großen, weißen Block des Hotels Maritim vorbeikamen, erweckte ein dicklicher Mann, der mit einem breitkrempigen Strohhut auf dem Kopf am Ufer stand, ihre Aufmerksamkeit. Es war Oskar Vernon, und als Paula das zufriedene Grinsen auf seinem Gesicht sah, bekam sie es mit der Angst zu tun.
40
In seiner Suite im Haus Inselende auf Sylt packte Gavin Thunder die Wut, weil er bereits viermal vergeblich versucht hatte, Barton zu erreichen. In seiner Verzweiflung rief er Oskar Vernon auf dessen Handy an.
»Ja?«, meldete sich eine hochnäsig klingende Stimme.
»Spricht da Oskar?«
»Ja.«
»Nachname?«
»Vernon, zum Teufel. Wieso können Sie mich eigentlich nicht an der Stimme erkennen, Thunder? Ich erkenne Ihre ja schließlich auch.«
»Beruhigen Sie sich, Mann. Ich will nur wissen, was mit Tweed los ist. Barton meldet sich nicht.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Thunder. Ich habe gesehen, wie er mit seinen Leuten an Bord eines Dampfers gegangen ist, der zu einer Insel weit draußen in der Ostsee fährt. Es wird die letzte Reise dieses Schiffes sein.«
»Ist das sicher?«
»Was ist schon sicher?«, antwortete Vernon und machte eine lange Pause, um Thunder schmoren zu lassen. »Trotzdem wird Tweed nie wieder aufs Festland zurückkehren, glauben Sie mir.
Der Mann wird einfach von der Bildfläche verschwinden.«
»Meinen Sie damit, dass er sterben wird?«
»Wie soll ich es denn noch ausdrücken? Tweed ist erledigt,
finito, kaputt.
Einen Augenblick, dann suche ich Ihnen noch den französischen und den spanischen Ausdruck dafür heraus.«
»Nicht nötig…«
Thunder legte auf und wünschte, Oskar Vernon würde ihm gegenüber etwas mehr Respekt an den Tag legen. Trotzdem war ihm jetzt sehr viel leichter ums Herz. Gut gelaunt goss er sich ein großes Glas Brandy ein.
Im Salon an Bord des Dampfers saß Paula auf einem Ledersofa, das vor einer holzgetäfelten Wand stand. Tweed hatte neben ihr Platz genommen, während sich die anderen in dem großen Salon verteilten.
Lisa war in ein angeregtes Gespräch mit Nield vertieft, der förmlich an ihren Lippen zu hängen schien. Marier hatte sich, wie es häufig seine Art war, etwas abseits von den anderen gesetzt und ließ den Blick rastlos durch den Raum schweifen.
»Ich habe Oskar Vernon draußen am Ufer gesehen«, sagte Paula mit leiser Stimme zu Tweed. »Er kam mir sehr selbstgefällig vor und grinste vor sich hin, als ob alles nach Plan laufen würde. Er hat dem Dampfer sogar hinterhergewinkt, was ich irgendwie
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