Das Inferno
Wolkendecke auf, und Rondel konnte unter sich die blaue Wasserfläche der Ostsee sehen.
Das Flugzeug ging in den Sinkflug über, und Rondel erblickte die Insel Berg, die weit ab von allen Schifffahrtsstraßen mitten in der Ostsee lag und so etwas wie eine private Festung darstellte. Die Gulfstream setzte zu einer Kurve an, und Rondel hatte einen guten Blick auf den hoch aufragenden Gipfel in der Mitte des Eilands, der nach Süden in einer steilen Felswand abbrach, an deren Fuß sich die Wellen brachen. Der Hafen und die Landebahn waren auf der Nordseite der Insel. Ganz oben auf dem Berg befand sich der Leuchtturm, der nicht nur nachts seine Strahlen hinaus aufs Meer schickte, sondern auch dann, wenn die Insel tagsüber in dichten Nebel gehüllt war. Knapp darunter sah Rondel ein schlossartiges Gebäude mit einem an einen Kamin erinnernden Turm, der eines der ausgefeiltesten elektronischen Systeme auf der Welt beherbergte.
»Ich kann den Mann, den ich sprechen muss, einfach nicht erreichen«, klagte Lisa. »Jetzt habe ich ihn schon mehrmals angerufen, aber er ist immer unterwegs.«
»Wer immer es auch ist, du musst dranbleiben«, sagte Herb.
Die beiden saßen in einem Nebenzimmer hinter dem Schankraum des Hangman’s Noose beim Mittagessen. Obwohl sich Herb redlich bemühte, um Lisa zu beruhigen, war ihm kein sonderlicher Erfolg beschert.
»Ich
bin
drangeblieben, verdammt noch mal«, fauchte Lisa und legte die Gabel neben den Teller.
»Hast du denn bloß die Telefonnummer von dem Mann oder auch seine Adresse?«, fragte Herb.
»Die Adresse habe ich auch.«
»Wieso fährst du dann nicht einfach hin?«
»Weil man ihn ohne Termin nicht sprechen kann.«
»Dann lass dir doch einfach einen Termin bei ihm geben.«
»Was glaubst du eigentlich, dass ich die ganze Zeit mache? Besonders jetzt, wo ich gesehen habe, dass dieser Delgado hier herumschleicht.« Sie hielt inne, weil sie laut geworden war. »Da braut sich etwas sehr Gefährliches zusammen…«
Lisa verstummte, weil die Tür zur Bar plötzlich aufgegangen war. Ein Mann starrte sie an. Es war Delgado. Lisa griff unter ihre Jacke, wo sie die Beretta im Gürtel stecken hatte. Der dicke Mann machte einen Schritt auf sie zu.
»Ich habe eben meinen Namen gehört. Was treibt ihr beiden denn hier im Hinterzimmer?«
»Das geht Sie gar nichts an«, sagte Herb.
»Ich finde doch«, erwiderte Delgado und kam näher.
Hinter ihm sah Lisa auf einmal Millie auftauchen, die sich in der Küche mit einem großen Nudelholz bewaffnet hatte. Sie war ganz rot im Gesicht und fuchtelte mit ihrer Waffe gefährlich in der Luft herum.
»Raus!«, schrie sie. »Und zwar sofort, sonst schlage ich dir deinen blöden Schädel ein.«
Millie kam Lisa größer vor, als sie wirklich war. Delgado blickte über die Schulter, und als er Millie sah, machte er kehrt und ging zurück in Richtung Tür. Verfolgt von der noch immer in voller Lautstärke auf ihn einschimpfenden Millie, eilte er zurück in den Barraum.
»Diese Spelunke wird als Erste abgefackelt!«, schrie er Herb mit einem bösen Funkeln in den Augen zu. Als Millie daraufhin ihre Lautstärke verdoppelte, rannte er in seiner Panik einen Tisch um, bevor er sich ins Freie retten konnte.
»Tut mir Leid, meine Herren, der Typ hat einen über den Durst getrunken und wollte randalieren«, entschuldigte sich Herb bei den Gästen, deren Biergläser der flüchtende Delgado umgeworfen hatte. »Eine neue Runde ist schon unterwegs. Auf Kosten des Hauses, versteht sich…«
Herb schloss die Tür des Nebenzimmers, in dem Lisa schon wieder zum Telefon gegriffen hatte. Sie war so aufgeregt, dass sie ihren Atem kontrollieren musste, als sich am anderen Ende der Leitung wieder die Frauenstimme meldete. Lisa sagte ihren Namen und verlangte Tweed zu sprechen.
»Ja, jetzt ist er da. Tut mir Leid, dass Sie so oft anrufen mussten.«
»Hier Tweed. Mit wem spreche ich?«
»Lisa Trent. Wir haben uns gestern auf Lord Barfords Party kennen gelernt. Sie erinnern sich doch noch, oder?«
»Aber natürlich. Sie wollten mich doch besuchen, um irgendetwas mit mir zu besprechen.«
Herb, der mit einem Eimer und einem Schrubber ins Zimmer kam, sah Lisa fragend an und machte eine Geste, ob er wieder rausgehen solle. Lisa lächelte ihn an und sprach weiter.
»Könnte ich denn um sechs Uhr zu Ihnen kommen? Dann ist es dunkel und damit sicherer.«
»Was meinen Sie mit sicherer?«
»Mr. Tweed, in dieser Stadt treiben sich organisierte Banden herum, die sich gerade
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