Das Inferno
rechten Hand in ihre Schultertasche und vergewisserte sich, dass sie im Notfall raschen Zugriff auf die Browning hatte.
Tweed blickte die ganze Fahrt über auf seinen Stadtplan.
»Die scheinen hier früh zu Bett zu gehen«, bemerkte Newman. »Keine Menschenseele auf der Straße.«
»Die Leute müssen eben früh zur Arbeit«, sagte Paula, wie um ihre eigene Nervosität zu dämpfen.
Auf einmal blieb das Taxi neben einem seltsam aussehenden modernen Gebäude stehen. Der Fahrer sah sich ängstlich um und ließ den Motor laufen.
»Wollen Sie wirklich hier aussteigen?«, fragte er auf Deutsch.
»Ja«, erwiderte Tweed.
»Sicher?«
Paula sah, dass sich der Mann in dieser Gegend ausgesprochen unwohl fühlte. Schon nachdem Tweed ihm das Fahrziel genannt hatte, hatte er alle Türen verriegelt.
»Ganz sicher«, sagte Tweed und gab dem Fahrer zusätzlich zum Fahrpreis ein großzügiges Trinkgeld.
»Vielen Dank. Und wie kommen Sie zurück?«
Als Tweed ihm sagte, dass er das noch nicht wisse, schrieb ihm der Mann seinen Namen auf eine Visitenkarte des Taxiunternehmens. Er hieß Eugen. Tweed steckte die Karte ein und stieg dann aus. Kaum hatten auch die anderen das Taxi verlassen, gab Eugen Gas und raste davon.
»Ich habe auf der Fahrt hinter uns ein Motorrad gehört«, sagte Newman. »Jetzt scheint es angehalten zu haben.«
»Das ist Harry«, sagte Paula. »Ich bin froh, dass er uns im Auge hat.«
Die drei gingen an den merkwürdigen modernen Gebäuden entlang, die Paula wie riesige abstrakte Skulpturen vorkamen.
Es war sehr schwül und vollkommen still. Die Luft roch etwas nach Maschinenöl.
»Wie weit ist es von hier bis zur Elbe?«, fragte sie.
»Nicht weit«, antwortete Tweed, der seinen Stadtplan inzwischen aber eingesteckt hatte.
Nirgends war eine Menschenseele zu sehen. Als Paula sich umdrehte, konnte sie nicht einmal Harry Butler entdecken, was sie aber nicht sonderlich beunruhigte. Wenn Butler jemanden verfolgte, war er praktisch unsichtbar. Was Paula viel mehr auf die Nerven ging, war die unheimliche Stille, die ringsum herrschte. Erst nachdem sie eine Weile gegangen waren, konnte sie das leise Plätschern von Wellen hören. Sie hatten die Elbe erreicht. Tweed führte sie nach rechts, wo Paula im schwachen Licht einer Laterne ein Straßenschild entziffern konnte.
Eibstraße.
Linkerhand konnte sie nun den Fluss sehen, der etwa so breit wie die Themse in London war. Über dem Wasser ragten Dutzende riesiger Kräne auf, deren Führerkabinen aber alle dunkel waren. Paula kamen sie wie Raumschiffe vom Mars vor, die gerade gelandet waren. Der Mond verbarg sich hinter dunklen Wolken, die erst vor kurzem aufgezogen waren, aber ein paar Scheinwerfer zwischen den Kränen zeichneten deren Gitterwerk als lange, unheimliche Schatten auf den Asphalt.
Zwischen diesen riesigen Monstren fühlte Paula sich ganz klein und schutzlos.
»Wenn die Deutschen etwas bauen, wird das immer gigantisch groß«, bemerkte sie.
»Wie auch diese riesigen Panther-Panzer im Zweiten Weltkrieg«, sagte Tweed. »Ich habe Bilder von den Dingern gesehen. Sie haben unseren Invasionstruppen in der Normandie damals schwer zu schaffen gemacht.«
»Solange uns hier keines von diesen Monstren entgegenkommt, bin ich schon zufrieden«, sagte Paula.
»Das wird wohl kaum der Fall sein«, beruhigte sie Newman.
Auf der anderen Seite des Flusses konnte Paula jetzt einen weiteren Wald von Kränen erkennen, von denen starke Scheinwerfer nach unten strahlten. Zwei Frachter lagen dort am Kai und wurden gerade entladen.
»Nimmt denn dieser Hafen überhaupt kein Ende?«, sagte Paula.
»Er ist immerhin der zweitgrößte auf dem Kontinent«, entgegnete Tweed. »Lediglich der Europort in Rotterdam ist noch größer, aber Hamburg holt immer mehr auf.«
Eine Kette klirrte durch die stille Nacht, und Paula wäre vor Schreck fast aus der Haut gefahren. Es war das erste laute Geräusch, das sie hörte, seit sie aus dem Taxi gestiegen waren.
»Das war nur ein Lastkahn, der sich in der Strömung bewegt hat«, sagte Newman.
»Ein unheimlicher Ort«, sagte Paula.
Sie schaute nicht mehr hinüber zu den Kränen, war sich aber deren Gegenwart weiterhin bewusst. Zumindest konnten sie sich nicht bewegen.
Tweed hob einen Arm und deutete nach vorn. »Sehen Sie die Häuser da oben auf der Böschung? Dort wohnt Dr. Kefler. Und hier ist auch der Fußweg, von dem er gesprochen hat. Gehen wir also hinauf und suchen die Nummer dreiundzwanzig.«
»Hübsche Aussicht hat er
Weitere Kostenlose Bücher