Das Inselcamp
schluckte. »Ober vielleicht – schreibt er – einfach nicht. Er ist ja so versunken.«
»Versunken?« Es war Andi, der fragte. Judith schaffte es nicht. Der Alte nickte. »Wie eure Freunde aus dem Vogelnest«, sagte er. »Leben mit der Bibel. Gemeinsam einsam.«
Das sind nicht unsere Freunde, wollte Andi sagen. Und fragen, was das bedeuten sollte: gemeinsam einsam. Aber Judith kam ihm zuvor. »Und deshalb hat er dich im Stich gelassen?«, fragte sie zornig. Sie sagte »dich«. Aber sie meinte »Lena«. Und »mich«.
Der dünne Bart zitterte heftiger denn je. »Nicht so, wie du denkst«, sagte er.
Er erzählte von seinem Sohn Erik, von seiner Leidenschaft für LMB und für Lena, die ihn für LMB geworben hatte. Judiths Schweigen wurde immer düsterer. Lena und LMB – das war so schwer vorstellbar. Und überhaupt: schon wieder LMB. Seltsam eigentlich, genau betrachtet …
Martin erzählte von gemeinsamen Träumen, die Erik und Lena verbunden hatten: Weit über das Meer zu gehen. Dorthin, wo die Briefmarken bunt waren. Dort zu leben, einfach, mit der Bibel.
»Und dann kam der Tag, an dem Lena aufwachte«, erinnerte sich Martin. »Die Seekisten waren schon gepackt. Lena kam vom Impfen an dem Tag, ich weiß es noch, als wäre es heute.« Die alten Augen starrten auf den Horizont, als liefe dort ein Film. »Erik und zwei weitere Paare saßen in meinem Wohnzimmer und studierten eine Landkarte. Lena kam herein und sagte: Es geht nicht. Erik sagte: Was, sie konnten dich nicht impfen? Lena sagte: Nein.«
Andi betrachtete seine Hände. Sie lagen offen auf seinen Knien. Für den Fall, dass Judith Bedarf hatte. »Sie war schwanger«, bemerkte er nüchtern.
Martin klang abwehrend. »Wir haben es nicht begriffen. Erik nicht. Nicht einmal ich. Es war leichter zu glauben, dass Lena untreu geworden war, als dass es einen guten Grund gab. – Sie lief weg. Und Erik ließ sie laufen.«
»Untreu?« Judiths Frage war ein schriller Schrei. Martin hob die Schultern. »Der Bibel?«, meinte er, selbst wenig überzeugt. »Oder vielleicht: meinem Sohn?«
»Mir«, sagte Judith später, als sie mit Andi allein war. »Mir war sie treu.«
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Dürfen wir reinkommen …?
Es war nun schon der zweite Regentag. Die Gruppen waren losmarschiert wie nun an jedem Tag dieser letzten Woche. Drei Tage waren es noch. Dann war es vorbei.
Sie suchten Zuflucht. Sechs von den zwölf im Vogelnest, zwei davon mit ganzem Herzen: Johanna liebte Gabriel. Und Tamara liebte es, mit Rebekka Bibelsprüche auszutauschen.
Rebekka kannte andere als Tamara, nur wenige aus der Bergpredigt, umso mehr aber von Johannes. Da ging es um Ewiges Leben und um Frieden für die Seele. Um das Licht der Welt und die Erkenntnis der Wahrheit.
Aber auch die übrigen vier waren nicht abgeneigt, noch einen Regentag im Nest zu verbringen: Simone hatte entdeckt, dass es gut tat, Lebensgeschichten auszutauschen, Matti mochte den dicken Niklas, dem er nichts vorzuspielen brauchte. Und was Judith und Andi anging: Sie wollten einfach zusammen sein. Gleichgültig, wo.
Dagegen hatten Pitt, Britt und Jacques ihre Aufgabe unten auf dem Campingplatz. Es stellte sich heraus, dass Jacques den blauen Judo-Gürtel hatte. Er zeigte den Kindern Fallübungen und leichte Würfe. Britt und Pitt luden zu Karten- und Brettspielen ein.
Edwin wich Britt nicht von der Seite. Sie konnte ihn besser als alle verstehen. Gerald mit seinem Rollstuhl war auch da und ließ sich von Kindern durch das Zelt fahren. Auch Spinne kam wieder und brachte ein Buch mit. »Kein Babykram«, sagte Maria wieder. Und Spinne versicherte ihr, das Buch sei ab 18. Frühestens.
Es dauerte nicht lange, da schoben sich drei Gestalten in tropfenden Kutten in das behagliche Zelt. Es waren die drei vom Berg (ohne Matti), die Surfer. »Dürfen wir …?«, fragte Jakob, und Tom schaute halb herausfordernd, halb verlegen zu Pitt. Pitt verbiss sich ein Grinsen und machte eine weit ausholende Geste der Einladung. »Willkommen in unserer bescheidenen Hütte.«
Britt hob den Kopf und sah Jakob. »Gut, dass du da bist!«, sagte sie. »Du weißt doch sicher, wie man Hui-Buh spielt …« Sie zeigte auf das Brettspiel, das vor ihr lag. Jakob grinste: »Wir tragen ja schon die richtige Verkleidung!«, sagte er.
Das Brettspiel war vergessen. Die sechs von Jott mussten ihre Kittel ausziehen und an die Kinder verleihen. Dann tobten die Kinder als Schlossgespenster durchs Zelt – alle, die nicht Judo übten;
Weitere Kostenlose Bücher