Das Internat
aus einem Fläschchen tranken. Jetzt verstand er es und fragte sich, was sie noch getan hatten, um ihr Leben zu schützen. Jameson hatte das Gefühl, dass Mattie ihm noch mehr Geheimnisse enthüllen würde, vielleicht alle. Das machte ihm ein bisschen Angst.
Mit jeder Antwort, um die er sie bat, würde sie sich mehr belasten.
"Wegen deines Bruders", sagte sie plötzlich und erwischte ihn damit kalt.
"Was ist mit Billy?"
Sie zögerte und überlegte einen Moment. "Es tut mir leid, was mit ihm passiert ist. Er hatte es wirklich nicht verdient, nichts davon."
Als hätte sie ihr ganzes Leben lang darauf gewartet, die Worte auszusprechen, fuhr Mattie fort. "Ich glaube, dass er ein guter Mensch war. Nur dass die Leute Angst vor ihm hatten. Er hat mir einmal in Rowe geholfen. Dafür habe ich mich nie bedankt, weil auch ich mich vor ihm gefürchtet hatte. Ich möchte nur, dass du weißt, dass er etwas Gutes getan hat."
Jameson war tief berührt, aber unsicher, wie er reagieren sollte. Seine Sorgen waren unnötig. Mattie hatte nicht die Absicht, sich zu belasten.
"Ich hole die Zeitung", sagte sie.
"Warte!" Vergeblich streckte er die Hand nach ihr aus. Diesmal war Mattie zu schnell für ihn. Sie verschwand im Flur, Jameson konnte das Geräusch ihrer nackten Füße auf dem Schieferboden hören. Es klang, als würde sie rennen.
So zufrieden, wie er sich seit Jahren nicht gefühlt hatte, lehnte er sich in die Kissen zurück. Seltsam, denn es hatte sich nichts geklärt. Momentan hatte er noch nicht einmal einen Plan. Das Einzige, worüber er nachdachte, war, vielleicht Kaffee zu kochen und eine Tasse zu trinken, während er mit Mattie im Bett die Zeitung lesen würde. Dann könnten sie noch mal darauf zurückkommen, was sie gestern Abend getan hatten … nur allzu gern würde Jameson ihre Erinnerung auffrischen.
Gut gelaunt erhob sich Jameson vom Bett und wollte gerade seine Shorts anziehen, als er Mattie schreien hörte.
"Oh, gut, du bist immer noch hier!" Jane ging schnell in das Esszimmer hinüber, in dem sie und ihr Mann stets frühstückten, wenn sie beide zu Hause waren.
"Diese Cokie Roberts findet nie ein Ende", klagte sie und strich mit den Fingern über ein widerspenstiges weißes Revers ihres marineblauen Blazers. Sobald Jane die Hand wegnahm, rollte die verflixte Ecke sich hoch. "Und sie ruft immer zu so unpassenden Zeiten an."
Der Präsident unterbrach das Gespräch mit seiner Wahlkampfmanagerin, einer kräftigen Frau mit lockigem grauen Haar und einem warmen Lächeln. "Jane, sag Hallo zu Muriel. Wir arbeiten an einer kleinen Liste mit Wahlkampfspendern. Sie hat schon ein paar Menschen mit großen Brieftaschen ausfindig gemacht, nicht wahr, Muriel?"
"So groß wie Kängurubeutel", bestätigte Muriel Dickerson und lächelte verschmitzt.
Jane warf der Frau einen Kuss zu. "Wenn ich nicht verheiratet wäre, Muriel, wärst du mein erstes Date. Du bist meine Heldin, und du weißt es."
Larry gluckste vor Lachen. "Vielleicht solltest du den Kaffee heute Morgen auslassen, Schatz. Du schwebst ja schon über dem Boden."
Jane sank auf den Stuhl und machte ein Geräusch, das klang, wie wenn einem Reifen Luft entweicht. Ständig rannte Jane, statt zu gehen. Manchmal merkte sie gar nicht, wie erschöpft sie war, bis sie innehielt. Besonders seit sie ihre Pillen nicht mehr nahm, fühlte Jane sich so. Seit sie an jenem Tag ihren Psychiater aufgesucht hatte, nahm sie keine Tabletten mehr, nicht einmal ein Stückchen davon. Es kam ihr so vor, als wäre ihr Körper auf Autopilot geschaltet. Als flöge sie über einem endlosen und tiefschwarzen Abgrund. Wenn sie anhielte, würde sie abstürzen.
Sie warf einen Blick zu Muriel. "Du hast David Grace auch auf der Liste, oder?"
Muriel überprüfte die Notizen, die vor ihr lagen. "Wie könnten wir ihn vergessen?"
"Wir haben ihn vielleicht verloren", meinte Larry. "Ich habe heute Morgen mit ihm gesprochen. Er ist nicht besonders erfreut über die Tatsache, dass wir bei seinem Lieblingsprojekt möglicherweise den Stecker rausziehen müssen."
Dass so etwas geschehen würde, hatte Jane befürchtet. Aber vielleicht war es noch nicht zu spät. Sie würde David anrufen und versuchen, die Wogen zu glätten, obwohl sie nicht sicher war, ob sie im Moment dazu in der Lage wäre. Sie war nicht gut drauf, und das Projekt bedeutete ihm alles.
"Kaffee, Ma'am?" Felicia, ein relativ neues Gesicht unter den Angestellten im zweiten Stock, erschien mit einer Thermoskanne Kaffee und Janes
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