Das Internat
Hütte am See gefahren sein?" Jameson wusste, dass Frank dort im Frühling und im Sommer häufig angeln ging. Ein paar Mal war er selbst in der Hütte beim Phoenix Lake gewesen.
"Möglich, nur weiß ich nicht, warum er es mir dann nicht gesagt hat. Ich habe schon versucht, ihn dort anzurufen. Es ist keiner ans Telefon gegangen."
"Ich versuche es mal und melde mich bei dir. Ich bin mir sicher, dass es ihm gut geht."
Sie dankte ihm. Als sie sich verabschiedet hatten, wendete Jameson das Auto und machte sich auf den Weg zur Hütte, die etwa eine Stunde entfernt war. Es schien logisch, dass Frank sich dort aufhielt, am perfekten Ort, wenn man sich vor der Welt verstecken wollte. Einmal waren sie mit ein paar Leuten dort gewesen, hatten viel Bier getrunken und nachts Fische mit Speeren gejagt. Ein Wunder, dass sie sich nicht gegenseitig aufgespießt hatten und ertrunken waren. Dann hatte Frank zu viel Alkohol erwischt, und es war kein Spaß mehr gewesen.
Jameson hatte das als weiteres Zeichen dafür gedeutet, dass Franks Ehe nicht funktionierte. Frank sprach nie über seine Probleme. Schließlich hatte er jedoch das Trinken unter Kontrolle gebracht und war seitdem regelrecht aufgeblüht. Natürlich könnte der Grund dafür genauso gut ein Geldsegen gewesen sein. Wie ein Millionär hatte Frank gelebt, weit über die Verhältnisse eines gewöhnlichen Staatsanwaltes, der auf der Gehaltsliste der Gemeinde steht. Hatten Frank und seine Frau ihr Einkommen vielleicht durch eine Erpressung aufgebessert?
Jameson hörte seine Mailbox ab. Immer noch nichts von Mattie, seine Besorgnis wuchs. Er versuchte, sich nicht so viele Gedanken um ihre Sicherheit zu machen, doch kein Argument half dagegen. Wieder hing Jameson an der Angel seiner gefährlichen Leidenschaft fürs Tragische, hing daran wie ein Fisch, wie es schien. Aber diesmal konnte er es nicht auf seine Angewohnheit schieben, sich in Probleme anderer zu stürzen, um die eigenen zu verdrängen. Er steckte mittendrin. Seit er sich mit Mattie eingelassen hatte, war er gezwungen, sich mit seinen Gefühlen zu beschäftigen – den Gefühlen für sie und mit denen für seinen Bruder.
Er war nichts aus dem Weg gegangen. Zur Hölle, vielleicht musste er deshalb hier durch. Durch den Bereich, den Jameson sein Leben lang gemieden hatte. Solange er sich nicht damit auseinandersetzte, würde das Schicksal ihn womöglich immer wieder hierher zurückführen.
Der Kies knirschte, und kleine Steine schossen in die Höhe wie Pistolenkugeln, als Jameson die gewundene Zufahrtsstraße zu Franks Hütte hinauffuhr. Der Escalade war immer noch in der Werkstatt und wurde repariert, also hatte Jameson seinen Zweitwagen benutzen müssen, einen viertürigen Jaguar, den er selbst hergerichtet hatte. Wenn er wieder zu Hause war, würde das Auto eine neue Lackierung brauchen.
Die Gegend war nur wenig besiedelt, außer Hütten, Campingplätzen und Sommerhäusern gab es nicht viel. Franks Holzhütte gehörte zu den schöneren Häusern, obwohl sie im Vergleich zur Villa der O'Neills klein und rustikal genannt werden musste.
Als er Franks Range Rover vor der Tür stehen sah, stieg Erleichterung in Jameson auf. Er stieg aus dem Jaguar und ging auf die Eingangstür zu. Nachdem niemand auf ein Klopfen reagiert hatte, haderte Jameson mit sich, ob er den Schlüssel benutzen sollte. Das Versteck kannte er.
Obwohl er noch einmal klopfte, hatte er seine Entscheidung bereits gefällt. Franks Auto war da, also musste der Besitzer auch hier sein. Jameson konnte nicht wieder fahren, ohne mit Frank gesprochen zu haben.
Augenblicke später betrat er die dunkle Hütte. Die Sonne sank, dennoch war drinnen noch kein Licht gemacht worden. Die Sicht war so schlecht, dass Jameson Schwierigkeiten hatte, sich zurechtzufinden. Er überlegte, ob er Franks Namen rufen sollte, aber er tat es nicht. Etwas an der seltsamen Stille in der Hütte erfüllte Jameson mit Beklommenheit.
Sogar der Geruch war hier komisch, irgendwie muffig und verdorben.
An der Küche, dem Esszimmer und den Schlafräumen ging Jameson vorbei, direkt in das Hinterzimmer, wo Frank die meiste Zeit verbrachte.
An der Tür kam Jameson zum Stehen, in dem Moment, als er einen Mann im Sessel sah, der aus dem Fenster auf den See starrte. Der Raum war erfüllt von lavendelfarbenem Dämmerlicht. Es war eine friedliche Szene, die Jameson nicht in stilles Grauen hätte versetzen sollen. Es hätte ihm keine Schweißtropfen auf die Stirn treiben oder ihm den Magen
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