Das Internat
David Grace' Sexualität enthüllt hatte, waren in Mattie Erinnerungen an die Zeit in seinem Haus und an das weibliche Motiv der Zeichnungen hochgestiegen. Es dauerte nicht lange, bis ihr klar wurde, wessen Porträts in Grace' Galerie hingen, und sie sagte es sofort den beiden anderen.
Und das war es, was Breeze hier reproduziert hatte: das Gesicht der Frau auf den Bildern.
Mattie berührte ihre vollen, glänzenden Lippen. Die Adlernase war perfekt, die Augen verhangen und traurig. Breeze hatte ihren Job wirklich gut gemacht. Die Ähnlichkeit war erschreckend, sogar für Mattie. Aber würde David Grace es schlucken? Und noch wichtiger, würde Mattie den Plan umsetzen können?
Das Problem war nicht, wie sie aussah, sondern wer sie war. Um sie zu überzeugen, dass sie die
Einzige
war, die es tun könnte, hatten Jane und Breeze ihr Bestes gegeben. Aber sie schienen nicht zu verstehen, was das für Mattie bedeutete. Die meiste Zeit ihres Lebens hatte sie gekämpft. Und trotzdem wusste sie nicht, wie man mit List und Betrug sein Ziel erreichte und die geheimen Sehnsüchte eines Menschen gegen ihn benutzte, egal wie verdreht diese Sehnsüchte auch sein mochten.
Breeze kam zur Frisierkommode und setzte sich, um Mattie abschließend die Kleidung zu richten. Die Bluse knöpfte Breeze etwas weiter auf und tupfte Mattie einen Tropfen Parfum auf den Hals.
"Er wird dahinschmelzen", versprach sie mit einem leisen Flüstern. "Wenn ich auf Frauen stehen würde, ich würde mit Sicherheit dahinschmelzen."
Mattie überlegte, wie sie das Thema wechseln konnte. "Ist mit Grace alles klar?", fragte sie Jane.
Zwar fingerte Jane wieder an ihrer imaginären Perlenkette, doch sie sah zufrieden aus. "Ich habe ihm gesagt, dass Larry aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr antreten wird. Ich glaube, David ist ein bisschen enttäuscht, weil es nicht seinetwegen war. Aber ich habe ihm versichert, dass Larry seinen Kandidaten unterstützen wird. Außerdem sagte ich ihm auch, dass wir drei dankbar für alles wären, was er für uns tun könne, und dass wir uns gern erkenntlich zeigen würden. Er erwartet heute Abend ein Geschenk. Und da kommst du ins Spiel, Mattie."
"Riecht er den Braten nicht?" Manchmal hatte Mattie Schwierigkeiten, zu verstehen, warum die Menschen nicht die ganze Zeit und jedem gegenüber misstrauisch blieben. Sie jedenfalls war es.
"Nicht wenn der Braten
J'Adore
trägt." Breeze drehte die winzige Flasche des teuren Dufts in ihren Händen hin und her. "Meinen Quellen zufolge liebt Grace diesen Duft bei Frauen."
Als Mattie einen weiteren Blick in den Spiegel warf, schien sich ihr der Magen zu drehen. "Glaubt ihr beide wirklich, dass das funktioniert?"
"Natürlich, wie sollte es anders sein? Wir kennen seine fatale Schwäche."
Breeze strahlte vollkommene Zuversicht aus, aber sie musste schließlich nicht in die Höhle des Löwen. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie mit dieser Aufgabe zu betrauen. Wenn es um Männer ging, war Breeze eine Zauberin, nur leider waren ihre Statur und ihre Gestik zu unähnlich. Genau wie Janes.
Mattie stand auf und näherte sich dem antiken Standspiegel. Als sie davorstand und die vollständige Verwandlung zu verinnerlichen versuchte, fühlte Mattie sich fast benommen. Jeder würde darauf hereinfallen, dachte sie, sogar er. Dennoch war Mattie auch bewusst, dass sie zwar äußerlich perfekt für die Rolle geeignet war, aber nicht, was ihre Fähigkeiten anging. Breeze hätte Grace im Schlaf verführen können, Jane konnte genauso gut eine Femme fatale sein. Mattie hatte, soweit sie wusste, von alldem nichts.
Bei Jameson konnte sie jedenfalls keinen besonderen Eindruck hinterlassen haben, hatte er sich doch einen Tag nach ihrem heißen Sex einfach aus dem Staub gemacht. Dass Jameson sie deshalb mied, war unwahrscheinlich. Trotzdem hatte er auf die diversen Nachrichten von Mattie nicht reagiert. Zunächst hatte sie geglaubt, dass er sie nicht mehr sehen wolle, und dann hatte sie sich Sorgen gemacht, dass ihm etwas Furchtbares geschehen sein könnte. Jetzt wusste sie nicht mehr, was sie denken sollte.
"Wirst du es durchziehen?", fragte Jane in diesem Moment.
Mattie berührte das Emblem auf der Tasche ihrer Bluse. Die Worte der Freundin nagten an ihr. Zu viel stand auf dem Spiel, besonders für Jane, und Mattie hatte das Gefühl, dass sie es tun musste.
Vor dreiundzwanzig Jahren, als die Freundinnen ihren ersten Kampf ausfochten, war es Mattie gewesen, die sich den Plan ausgedacht hatte,
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