Das Internat
leise.
Mit dem Finger zeigte sie auf die Tür. "Klassische schlechte Manieren. In diesem Land haben wir den Respekt vor der Privatsphäre anderer verloren. Also muss ich unhöflich auf denjenigen reagieren, der dort vor meiner Tür steht."
Sie rief unwirsch: "Herein!"
Beim Öffnen quietschte die Tür. Lane Davison, ein beliebtes Mädchen aus der Oberstufe, steckte ihre Nase herein. "Es tut mir leid, Sie stören zu müssen, Miss Rowe, aber ich habe allerbeste Nachrichten."
"Worum geht es, Lane?" Miss Rowe schien sich etwas zu erwärmen, wahrscheinlich weil es Lane war, die Lieblingsschülerin.
Mattie wurde übel. Lane war keine Ganztagsschülerin. Sie und ihre Freundinnen stammten aus wohlhabenden Familien aus dem Ort. Sie waren die gemeinsten Mädchen auf dem Campus, aber davon hatte Miss Rowe keine Ahnung. Außer direkt vor der Direktorin in die Knie zu gehen und ihr den Ring zu küssen, tat Lane alles, um Miss Rowe zu gefallen.
"Ich habe von meiner Mutter gehört", zwitscherte Lane, "dass sie rechtzeitig zu meiner Geburtstagsparty aus Europa zurückkommt. Sie möchte uns beiden ein Geschenk aus Rom mitbringen. Ich hoffe, dass das niemand unangemessen findet."
"Lane, das ist wirklich reizend von deiner Mutter, aber warum kommst du nicht morgen in mein Büro? Wir können dann darüber reden. Dies hier sind meine Privaträume."
Bei diesen Worten klang ihre Stimme so schrill, dass Mattie die Wärme anzweifelte, die sie ihnen allen entgegengebracht hatte. Aber sie hoffte, dass das nur ein Ausrutscher war.
Lanes Unmut trübte die Stimmung im ganzen Raum. "Und warum sind
sie
dann hier?" Sie warf den Stipendiatinnen einen verächtlichen Blick zu.
"Nun, weil das hier spezielle Fälle sind, Liebes. Sie haben nicht dein privilegiertes Leben genossen und brauchen besondere Unterstützung, um sich hier einzugewöhnen. Ich weiß, dass du und deine Freundinnen alles tun werden, um ihnen dabei zu helfen."
Lane hatte dazu nichts zu sagen, aber Mattie wusste mehr als genug über Lanes Freundinnen. Sie hatten sich so beliebt gemacht, dass sie die Raumaufsicht übernehmen durften. Während der Stunden gingen sie durch die Reihen und terrorisierten andere Schülerinnen. Breeze nannte sie die Todestruppe.
Nachdem Lane verschwunden war, verhielt sich Miss Rowe wieder freundlich und einladend. Sie senkte die Stimme und sprach fast im Flüsterton. "Noch ein guter Rat, Ladys. Was wir während dieser Treffen tun, muss unter uns bleiben, unter uns fünf. Ihr dürft niemandem davon erzählen. Besonders nicht einem Mädchen wie Lane, die viele Freundinnen hat und vielleicht nicht so diskret ist, wie wir uns das wünschen."
Lane war abgeschossen worden. Mattie hätte nicht glücklicher sein können. Aber sie hörte nur halb zu, weil sie einen seltsam aussehenden Baum entdeckt hatte, der in einen Topf neben dem Flügel gepflanzt war. Er trug keine Blätter, stattdessen war sein nackter Stamm mit rosa Blüten übersät. Mattie erinnerte sich vage, wie Miss Rowe die Geschichte eines Judasbaumes erzählt hatte. Mattie hatte nichts mehr davon im Gedächtnis, aber sie fragte sich, ob das dieser Baum gewesen sein konnte. Etwas daran irritierte sie.
"Was werden wir machen?", fragte Breeze Miss Rowe.
"Wir werden hoffentlich viel Spaß haben. Ich werde euch Dinge über Kleidung und Benehmen beibringen, soziale Fähigkeiten, und wie ihr mit dem anderen Geschlecht umgeht. Nennt es ein Lifestyle-Trainingslager."
Breeze jauchzte, als hätte sie einen Jackpot gewonnen. Jane lächelte, und sogar Ivy sah glücklich aus. Äußerlich blieb Mattie zwar ruhig, aber sie war fasziniert. Sie hatte noch nie eine Mentorin gehabt.
Ihre alleinerziehende Mutter hatte sie irgendwann einer Tante überlassen. Als Mattie zu einer Belastung wurde, hatte die Tante einen Job angenommen, bei dem sie viel reisen musste. Daraufhin kam Mattie in das Internat.
"Kommt schon, Ladys", sagte Miss Rowe und machte sich am Kaffeetisch zu schaffen, auf dem sie vorher ein silbernes Tablett mit Leckereien für den Tee abgestellt hatte. "Trinken wir eine Tasse Tee vor dem Kamin. Es gibt so vieles, das ich euch erzählen muss. Oh, und nehmt die Spiegel mit."
Als jedes Mädchen eine dampfende Tasse Tee in der Hand hielt, geleitete Miss Rowe sie zum Kamin hinüber, wo sie bereits Sitzkissen auf dem Boden verteilt hatte.
"Ihr werdet hier in Rowe ganz wunderbare Dinge lernen", erzählte sie ihnen, als sie Platz genommen hatten. "Wir werden euch mit der altgriechischen und
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