Das Internat
eigenartigen Tonfall von Ivys Stimme erkannte Mattie, dass es keinen Sinn hatte, weiter mit ihr zu diskutieren. Es gab nur zwei Möglichkeiten: sie k.o. zu schlagen und sie im Gebüsch liegen zu lassen oder sie mitzunehmen.
"Na, dann komm", sagte Mattie. "Ich hoffe, du hast recht."
"Hat Miss Rowe dir persönlich diese schlimmen Verletzungen zugefügt?"
Die Polizeibeamtin, die Mattie und Ivy am Tisch gegenübersaß, sah aus wie ein Mann. Sie hatte breite Schultern, derbe Gesichtszüge, ein Grübchen im Kinn und fluchte tatsächlich, als sie Matties Verletzungen sah. In dem Moment wagte Mattie zu hoffen, dass die Beamtin ihnen helfen würde.
Die drei waren allein in einem Gesprächszimmer, in dem die Polizistin Mattie seit einer Stunde Fragen stellte. Bis jetzt hatte Ivy nichts gesagt, aber das würde sich noch ändern, davon war Mattie überzeugt. Wenigstens hatten sie sie nicht getrennt. Mattie war sich jedoch nicht sicher, ob jemand Ivys eisernen Griff um die Lehnen der Stühle hätte lösen können.
"Nicht diese Verletzungen", sagte Mattie und zeigte auf ihren Bauch. "Das war die Todesschwadron, eine Gruppe Schülerinnen, die Miss Rowe benutzt, um uns zu drangsalieren. Aber Miss Rowe war diejenige, die den Todesschwadron in ihr Büro ließ und sie anwies, mir eine ordentliche Lektion zu erteilen. Sie hat es veranlasst."
"Hat sie dich jemals eigenhändig verletzt?"
Mattie öffnete den Mund und entblößte die Narben auf ihrer Zunge.
Die Polizistin war verblüfft. "Das hat sie gemacht? Wie?"
"Ich bin mir nicht sicher. Ich war bewusstlos." Mattie erzählte, wie Miss Rowe sie mit einem Tee ausgeschaltet und danach in die Abseite gesteckt hatte. "Meine Zunge war geschwollen und hat geblutet. Es könnte Säure oder Lauge gewesen sein."
"Kannst du das beweisen? Hat jemand etwas gesehen? Würden sie das bezeugen?"
Die Fragen erwischten Mattie kalt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Todesschwadron zu ihren Gunsten aussagen würde. "Ich denke, da steht mein Wort gegen das von Miss Rowe. Aber es gibt einen Mann, der mich aus der Abseite gezogen hat – der Gärtner."
"Und hat er gesehen, wie Miss Rowe dich da hineingesteckt hat?"
Mattie zögerte. "Nein."
"War der Gärtner einer der Männer, die dich missbraucht haben?"
"Nein."
Die Frau warf einen Blick auf Ivy. "Wie ist es mit dir? Wurdest du missbraucht?"
Als Ivy nicht antwortete, wusste Mattie, dass es vorbei war. Sie konnten die anderen zwei Mädchen nicht mit hineinziehen. Schließlich war sie weggelaufen, um Breeze und Jane zu schützen.
"Hat irgendjemand etwas gesehen?", fragte die Polizistin Mattie. "Irgendjemand, der zu deinen Gunsten aussagen würde?"
"Ich glaube nicht."
Ivy vergrub das Gesicht in den Händen. Mattie sank auf dem Stuhl zusammen.
"Schicken Sie uns nicht zurück", flehte Mattie.
Die Polizistin versuchte, sie zu beruhigen. "Niemand schickt euch irgendwohin zurück. Du brauchst eine medizinische Behandlung, junge Dame, und dann sehen wir zu, dass ihr beide eine warme Mahlzeit und ausreichend Schlaf bekommt. Morgen werdet ihr euch schon besser fühlen. Und dann haben wir auch die Gelegenheit, Miss Rowe einen Besuch abzustatten."
Ivy rieb sich die Augen und flüsterte: "Sie wird lügen. Sie wird nichts zugeben."
Jemand klopfte an die Tür und öffnete vorsichtig. Eine junge Frau in ziviler Kleidung, die vielleicht eine Sekretärin war, bat die Polizistin hinaus.
"Bin gleich zurück", sagte sie zu Mattie und Ivy, als sie aufstand. Bevor sie sich abwandte, zog sie eine Handvoll winzige Schokoriegel aus der Tasche und schob sie den Mädchen hinüber. "Da habt ihr schon mal eine Kleinigkeit, während ich weg bin."
Während Mattie die Verpackung eines Schokoriegels aufriss, bemerkte sie, dass die Tür nur angelehnt war. Sie legte einen Finger auf die Lippen, um Ivy zu verstehen zu geben, dass sie ruhig sein sollte. Um einen Blick in den Flur zu werfen, lehnte sich Mattie zurück. Durch den Spalt sah sie, wie die Frau, der sie alles erzählt hatte, mit einem Mann redete. Er trug einen dunklen Anzug, und etwas an seiner Art ließ Mattie annehmen, dass er der Chef war. Obwohl sie nicht erklären konnte, warum, zweifelte Mattie nicht daran. Es war nur ein Gefühl. Abgesehen davon, war der Flur leer. Die Sekretärin war verschwunden.
Mattie konnte das Gesicht des Mannes nicht sehen. Er stand mit dem Rücken zu ihr, der Polizistin zugewandt. Aber als er die Hand hob, blitzte ihr die goldene Farbe eines sternförmigen Objektes auf
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