Das irische Erbe
Laut von sich, Tim blickte ängstlich auf den Boden, seine Stirn war gerunzelt, sein Gesicht blass. Nina wirkte nicht viel besser. Sie kaute tatsächlich an ihrem linken Zeigefinger, als sei sie erst zehn Jahre alt. In Tims übergroßem Pulli sah sie allerdings auch eher wie ein Kind als wie eine erwachsene Frau aus.
Claire hob den Kopf und sagte zu Viktor: »Wir sind nicht verlobt und das weißt du auch.«
Dann zu ihrer Mutter: »Viktor will unsere Trennung nicht akzeptieren. Aber ich werde hier bleiben und das Hotel leiten und wenn du jemandem gratulieren möchtest, dann bitte Tim und Nina. Die beiden haben gestern geheiratet.«
Die Reaktion ihrer Eltern auf diese Eröffnung war enttäuschend und damit wie gewohnt.
Ihre Mutter fragte ihren Sohn, ohne Nina eines Blickes zu würdigen: »Glaubst du, dass das die richtige Entscheidung war?«
»Ja, das war die richtige Entscheidung«, sagte Tim mit überraschend fester Stimme.
»Aber du bist viel zu jung«, mischte sich ihr Vater ein. »Du hättest deine kleine Freundin auch später noch heiraten können.«
Nina schien in ihrem Sitz weiter zu schrumpfen. Claire kochte mittlerweile vor Wut. Aber das war jetzt Tims Sache, der auch das Wort ergriff: »Nina ist jetzt meine Frau und nicht mehr meine kleine Freundin. Mal ganz davon abgesehen, dass sie größer ist als du, Papa.«
Das saß. Ihr Vater hatte unter seiner nicht vorhandenen Größe immer gelitten. Seine Frau war sogar zwei Zentimeter größer als er, weshalb sie meistens nur flache Schuhe trug.
Eine Weile schwiegen alle und Claire dachte verwundert, dass ihre Eltern ihr wie Fremde vorkamen, die man glaubte, unterhalten zu müssen.
»Wo wohnt ihr denn?«, fragte sie schließlich.
»Oh, wir dachten, bei dir«, flötete ihre Mutter und ihr Vater nickte. Dann wandte sie sich an Tim: »Nun zeig uns doch mal das Hotel. Weißt du«, wieder in Claires Richtung, »Die Gräfin von Werthe wird mich beneiden, sie liebt Hotels und kennt die wichtigsten auf der ganzen Welt. In ihrer Familie gibt es Schiffe, ein Bergwerk und Weinberge, aber kein einziges Hotel.«
»Tatsächlich?«, murmelte sie.
»Ja, ich muss sie gleich unbedingt anrufen«, sie stand auf. »Komm, Tim, zeig uns mal alles.«
Tim nickte und erhob sich. Nina blieb abwartend sitzen.
»Komm«, er reichte ihr die Hand, die sie sofort dankbar ergriff.
»Dann könnt ihr eure kleine Differenz in Ordnung bringen«, sagte ihre Mutter mit einem verständnisvollen Lächeln in Claires Richtung.
Plötzlich war sie mit Viktor alleine. Er saß immer noch in der Mitte des Sofas. Ein Arm lag auf der Rücklehne. Sie starrte ihn wütend an.
»Was willst du hier?«, giftete sie.
»Claire«, er stand auf und kam auf sie zu. Als er nach ihren Händen greifen wollte, trat sie einen Schritt zurück.
»Was willst du?«, wiederholte sie.
»Ich will, dass du mit mir zurückkommst«, begann er. »Es kann doch nicht dein Ernst sein, dass du hier auf diesem Hof bleiben willst.«
»Viktor«, sie zwang sich zur Ruhe. »Es hat keinen Zweck. Ich komme nicht zurück. Hör also auf, dich in mein Leben einzumischen.«
Dann fiel ihr die Bewerbung ein, die er ihr zugeschickt hatte.
»Wie bist du an meine Bewerbungsmappe gekommen?«, fragte sie.
»Ich bin in der Firma gewesen und habe gefragt, ob man schon eine Entscheidung getroffen habe«, sagte er souverän. »Und man hatte, wie du jetzt weiß. Du siehst selbst, dass es auf dem Arbeitsmarkt nicht zum Besten steht.«
Er ging mit einer Hand durch sein perfekt geschnittenes Haar.
»Du brauchst aber keine Angst zu haben, du würdest jetzt auf der Straße stehen«, fuhr er in sanftem Ton fort. »Ich habe eine Stelle für dich, du kannst sofort anfangen. In unserer Kreditabteilung. Ich habe das schon mit der Hauptverwaltung geklärt.«
»Du verstehst mich nicht«, versuchte sie ihn zu unterbrechen.
»Doch, das tue ich. Du willst nicht dein Gesicht verlieren, das verstehe ich. Aber du brauchst nicht hier zu bleiben, nur weil du Angst hast, ohne Arbeit zu sein. Ich habe mich darum gekümmert.«
Der Retter, seine Lieblingsrolle.
»Du wirst die ersten drei Monate unter meiner Leitung arbeiten, dann bekommst du eine eigene Abteilung. Das ist nicht selbstverständlich«, betonte er. »Du hast schließlich keine Ausbildung im Bankenwesen.«
Claire sah alles vor sich. Sie arbeitete unter Viktor, als seine Assistentin. Er gab Anweisungen, die sie natürlich befolgen musste. Und egal, wie gut sie war, er würde sich immer in ihre
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