Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
Vom Netzwerk:
einen Rollstuhl. Er schob Stanley vom Bett zur Tischtennisplatte und richtete ihn auf, bis sein Kinn nah am äußeren Rand der Mittellinie war. Coen nahm den Schläger in die Hand. Er würde ihn nicht abwinkeln, denn er wollte den Jungen nicht mit angeschnittenen Bällen verwirren. Er schlug den Ball über das Netz. Stanley schlug mit der linken Faust zurück. Coen schwang sich mit weit gespreizten Knien vor. Er verpasste den Ball. Stirnrunzelnd sah er den Schläger an und holte einen neuen Ball aus dem Beutel. Er blies darauf, testete die Nähte, indem er ihn mit der Handfläche gegen die Tischplatte quetschte. Er horchte auf den dumpfen Laut, der besagt hätte, dass der Ball einen Sprung hatte. Der Laut blieb aus. Er machte die nächste Angabe. Stanley schlug den Ball mit dem anderen Fäustling zurück. Coen presste die Knie zusammen. Der Bulle war verblüfft. Sein Schläger küsste nichts als Luft. Stanley legte mit dem Gips auf seinen Knöcheln die höchsten Schmetterbälle hin.
    »Das ist ja Kung Fu, Mann.«
    Stanley steckte sich einen Gipshandschuh in den Mund. Er konnte sich das Kichern nicht verbeißen. Er hatte nicht vorgehabt, Coen zu necken, aber der Abscheu, mit dem der Bulle den Schläger in seiner Hand betrachtete, war so saukomisch, dass er sich fast bepisst hätte.
    »Das nennt sich Eisenfaust. Man muss sich konzentrieren, Mann. Du zielst auf eine Stelle. Manchmal geht es daneben, Mr. Coen. Aber wenn man den Ball erst hat, dann hat man ihn.«
    Ein Pfleger holte Blue Eyes ans Telefon. Manfred war immer noch verwirrt. Wie konnte ein Junge mit Gipshandschuhen in einem Rollstuhl sein Spiel kaputt machen? Coen wünschte, er hätte seinen Noppenschläger, seinen Mark V, bei sich gehabt. Dann hätte sich erwiesen, was eine Eisenfaust gegen ein paar Millimeter Schaumstoff ausrichten konnte. Brodsky kreischte ihn an.
    »Coen, bist du taub oder was?«
    Manfred wedelte mit dem Hörer. »Ich verstehe jedes Wort, Brodsky.«
    »Dann heb deinen Arsch hoch und komm rüber ins Präsidium.«
    »Und was ist mit Stanley Chin?«
    »Vergiss deinen blöden Chinesen. Und noch was, Coen. Bring deine Knarre mit. Wenn du unterwegs eine Kugel verlierst, bringt der First Dep dich um. Es dreht sich um Rupert Weil. Ich glaube, Isaac will, dass du ihn kaltmachst.«

TEIL VIER
14
    Marilyn konnte den Wind in den Streben der Feuertreppe ihres Vaters hören. Das Radio sagte einen Schneesturm voraus. Sie schauderte bei der Aussicht auf erblindenden Schnee. Marilyn war ein Mädchen aus Riverdale. Schneestürme machten sie wahnsinnig. Sie erinnerte sich an die Schneestürme ihrer Kindheit; Riverdale war vom Rest der Welt abgeschnitten und sie konnte nicht zur Schule gehen. Sie musste sich von Erbsen und Sesamriegeln aus der Vorratskammer ihrer Mutter ernähren. Auf dem Hudson sah sie Wattebälle und der Wind trieb lose Schneemassen vor sich her. Ihre Mutter war in Baltimore oder in Miami und ihr Vater saß in der Stadt fest. Isaac konnte nicht anrufen. Der Schnee hatte die Leitungen abgewürgt. Knistern drang aus dem Telefonapparat, ein ekelhaftes elektrisches Schnarchen. Marilyn lutschte an ihren Zöpfen, ausgelaugt, die Erbsen knurrten in ihrem Magen, und sie war zu verängstigt, um zu weinen.
    Über ihre frühere Hysterie konnte sie gar nicht lachen, Ängste von vor fünfzehn Jahren. Sie war im Hause ihres Vaters. Nach drei Ehemännern hatte sie die Angst vor beschissenem Wetter immer noch nicht abgelegt. Sie hätte ihre Mutter in Florida anrufen können, Kathleen bitten können, sie mit Erzählungen vom milden Miami zu besänftigen, von Wintern ohne ein Fitzelchen Schnee. Kathleen hätte es nicht beim Wetterbericht belassen und Marilyn hätte ihre sämtlichen Ehen durchkauen müssen, Kathleen mit Einzelheiten über ihre Ehemänner Nummer zwei und drei versorgen müssen. Jemand klopfte an die Tür ihres Vaters. Marilyn machte auf.
    Ein Schneemann wollte sie holen, Manfred Coen mit weißen Augenbrauen und blutroten Ohren. An einen solchen Schneemann konnte sich Marilyn gewöhnen. Sie stellte ihm impertinente Fragen. Sie schüttelte die Eiszapfen von seinem Kamelhaarmantel. Sie legte seine Hose auf die Heizungsverkleidung. Sie hob ihre Rockzipfel hoch, um seine Augenbrauen mit dem warmen Stoff abzureiben. Sie setzte ihm einen Turban aus Waschlappen über die Ohren. Der Schneemann war nicht so vernünftig, Gummistiefel zu tragen. Sie holte ihn aus seinen Schuhen heraus. Sie wickelte seine Füße in Isaacs Handtücher. Der Schneemann

Weitere Kostenlose Bücher