Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
Vom Netzwerk:
konnte die Schnur nicht durchbeißen; die Fasern waren zu grob. Brodsky rannte los, um eine Schere zu holen. Isaac schnitt die Knoten durch. Er riss das Metzgerpapier herunter. Die runden Kanten einer Hutschachtel kamen zum Vorschein, einer Hutschachtel, auf der ein Name stand: Philip Weil. Isaac öffnete die Schachtel. Brodsky hielt sich die Ohren zu. Die anderen stahlen sich in die hinterste Ecke. Sie sahen eine Hand, die in zerknittertem Zeitungspapier raschelte.
    »Was zum Teufel ist das, Isaac?«
    Er hielt eine Schachfigur in der Hand, einen schwarzen Läufer aus Holz, ein wertloses Stück aus Ruperts eigener Sammlung. Die Knüppelknaben waren bestürzt. In ihren Augen bestätigte das Päckchen Ruperts Verrücktheit. Isaac behielt seine Meinung für sich. Er jagte sie alle aus dem Zimmer.
    »Mach die Tür zu, Brodsky.«
    Isaac tastete die Schachfigur ab, alle Rundungen und Unebenheiten im Holz – Ruperts Läufer hatte einen aufgedunsenen Bauch –, die dünne schwarze Farbschicht, die schon abblätterte, das Samtplättchen auf der Unterseite, die rauen Stellen. Rupert will mir etwas mitteilen, murmelte Isaac in sich hinein. Dieses Geschenk konnte keine Laune gewesen sein. Wollte der Junge Isaac zu einem postalischen Schachspiel herausfordern? Sollte Isaac mit einem Läufer der gegnerischen Farbe reagieren? Nein. Darum ging es Rupert nicht. Diese Schachfigur musste sich auf das Spiel seines Vaters beziehen. Philip konnte meisterlich mit einem Paar kooperierender Läufer umgehen. Er hatte immer mit Schwarz gegen Isaac gespielt und ihm somit einen deutlichen Vorteil eingeräumt. Der Eröffnungszug gehörte Isaac. Philip saß nie auf seinen Figuren. Er vermied die normalen Abwehrformationen. Seine Verteidigung war durchlässig. Philip liebte den Angriff. Er schlachtete die gegnerischen Bauern nicht ab und hungerte auch nicht mit quälender Langsamkeit den König aus. Während man mit einer Armada von Springern und Türmen angriff und die Figuren zu einer grandiosen Mission aussegelten, schlich sich Philip um sie herum und setzte seine Läufer ein, um der gegnerischen Königin die Kehle auszureißen.
    »Er ist hinter einer meiner Damen her«, fauchte Isaac in die Hutschachtel. Wie viele Damen hatte ein Bulle? Drei oder vier? Rupert will mich auf dieselbe Weise schlagen wie sein Vater. Isaac konnte sich nicht vorstellen, dass der Junge Sophie ein zweites Mal anrühren würde. Doch im Innersten neigte der Chef zur Vorsicht. Für den Fall, dass Ruperts Logik ihn aufs Glatteis geführt hatte, stellte er einen weiteren Engel vor Sophies Tür auf. Ging es um Isaacs Ehefrau, die Baronesse Kathleen? Rupert müsste sie in Floridas Sümpfen ausgraben, Kathleens neuem Herrschaftsbereich. Ida Stutz? Was konnte Rupert mit Isaacs Verlobter anfangen? »Marilyn«, sagte Isaac nasal und entschieden. Sie musste es sein.
    Der Hund von der Zwanzigsten Straße traf ein, an der die Bombenentsicherung eigene Hundezwinger auf dem Dach der Polizeiakademie unterhielt. Isaac hatte einen Schäferhund mit tollen Ohren und riesig langer Nase erwartet. Stattdessen kam eine Maus, ein Fitzelchen Hund, ein Cockerspaniel mit verkümmerten Beinen und einem Körper, der auf den Boden hing. Ein solches Geschöpf konnte Isaac bedauern. Er wollte es nicht in die Zwanzigste Straße zurückschicken, ohne es an der Hutschachtel schnüffeln zu lassen.
     
    In der Häftlingsstation in Bellevue gab es eine Tischtennisplatte, altmodische Sandpapierschläger und einen Beutel staubiger Bälle, wie für Manfred Coen geschaffen. Er konnte sich die Zeit damit vertreiben, Bälle auf den Tisch zu schmettern. Heute waren nur drei Patienten in der Abteilung: ein schwarzer Moslem mit einer Oberschenkelverletzung, ein geistesgestörter puerto-ricanischer Autodieb, der versucht hatte, sich in einem Polizeirevier zu erhängen, und Stanley Chin. Keiner der drei war in der entsprechenden Verfassung, gegen Coen anzutreten. Doch die kleinen Hacklaute, das Picken des Sandpapiers, ließen sie aufhorchen. Stanley rief von seinem Bett aus herüber, um Coens Schlägen Einhalt zu gebieten. »Willst du gegen mich spielen, Blue Eyes?«
    Coen lachte. »Du wirst dir die Finger verletzen, Stanley. Du kannst keinen Schläger halten.«
    »Ich brauche keinen Schläger.« Er wedelte einen Fäustling durch die Luft. »Ich spiele damit.«
    »Mit deinem Gips?«, sagte Coen. »Die Ärzte würden mich lebendig häuten.«
    »Woher sollen sie es erfahren? Hab keine Angst, Blue Eyes.«
    Coen fand

Weitere Kostenlose Bücher