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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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ihn keinen Moment aus den Augen.«
    Isaac trat aus dem Schatten. Er hatte keine einzige Locke im Gesicht. Da, wo früher seine Koteletten gewesen waren, hatte er jetzt wunde Stellen. Ohne diese Haarbüschel wirkte er abgegrast. Doch er konnte immer noch Leuten zuzischen.
    »Kein Wunder, dass Jerónimo bei dir wohnt. Ein perfektes Paar, du und das Baby. Patrick, du bist der dümmste Kriminaler seit Menschengedenken. Der First Dep war dein Rettungsanker. Ohne seine Zuneigung wärst du vor Jahren ertrunken. Wenn du minütlich Rechenschaft über Jerónimo ablegen kannst, dann sag mir, wo er jetzt ist.«
    Schwarze Dämpfe blubberten aus Patricks Nase: Er schnaubte Vater Isaac mit Luft und Guinness an. »Habe ich dir nicht gesagt, dass das Kerlchen schläft?«
    Es gelang ihm, sich loszureißen, den Park und den Abingdon Square hinter sich zu lassen. Seine Beine trugen ihn. Seine Knie hielten durch. Er konnte Isaacs Pfiffe hören. »Besorg dir ein Paar Schuhe, du dreckiger Halunke.« Er hatte die Einmündung der Bethune Street erreicht, den Rinnstein überquert. »Wenn du mir Jerónimo nicht auslieferst, schütte ich dir Rattengift ins Bier. Deine Lunge wird rauchen. Silver, halt dich von meinen Straßen fern!« Er brauchte seine Schritte nicht vorauszuberechnen. Ein Ire landet immer gut. Patrick konnte nicht danebentreten. Er prallte mit seinem Schädel gegen die Schul und streifte einen der Pfosten der Markise. »Jesus«, murmelte er mit einer Beule auf dem Kopf. Er trat unter die Treppe und wühlte nach seinem Hausschlüssel. Sturzvoll und halb erblindet konnte er nicht mit einem Schlüsselloch ringen.
    »Gott Esaus«, sagte er, »steh mir bei.« Er verfluchte Jakob und Rebekka, die Esau um sein Erstgeburtsrecht beschwindelt hatten. Esau war ein behaarter Mann, wie Patrick Silver und Jerónimo. Doch Patrick hatte kein Erstgeburtsrecht zu verlieren. Sein Vater hatte ihm einen Gebetsschal mit zerrupften Troddeln und die Auflage hinterlassen, eine Synagoge für heimatlose Iren zu erhalten.
    Der Schlüssel drehte sich in Patricks Hand, und die Synagoge schloss sich vor ihm auf. Er torkelte auf sein Zimmer zu; er hatte Angst, nach Jerónimo zu sehen. Durch die Wand hörte er ein Schnarchen. Er dankte dem Gott Esaus dafür, dass er behaarte Männer vor Unheil bewahrte. Er machte die Tür auf. Jerónimo lag in Patricks Bett, unter einer dünnen Sommerdecke. Die Decke hob sich bei jedem Schnarchlaut. Das Baby sabberte im Schlaf; die Decke hatte eine nasse Stelle. Patrick machte das nichts aus. Er schlief nicht zum ersten Mal in der Spucke des Babys.
3
    Isaac der Tapfere trank seinen Schluck Rizinusöl und ging ins Scheißhaus. Das war ein Teil seiner mittwochmorgendlichen Routine. Das Scheißhaus gehörte zum Presbyterianer-Krankenhaus. Isaac musste dem Labor für Tropenkrankheiten Proben spenden. Einmal wöchentlich untersuchten Spezialisten seinen Stuhl. Der Chef hatte einen Wurm in seinen Därmen, gehässig und intelligent, zwei Meter fünfzig lang und mit Häkchen und vielen Saugnäpfen.
    Isaacs Wurm war das große Los unter den Tropenkrankheiten. Die Ärzte und Labortechniker konnten sich an keinen anderen Wurm erinnern, der so spektakulär in einem Menschen gedieh. Sie pumpten Isaac mit Kontrastmitteln voll, um den Wurm zu röntgen.
    »Inspektor Sidel, sind Sie sicher, dass Sie nicht in Südamerika waren? Wir schreiben nicht mehr das Jahr 1905. Heute holt man sich in Manhattan keinen Schweinebandwurm mehr.«
    Der Chef fing an, sich vor dem Gang ins Scheißhaus zu fürchten. Vom Rizinusöl geschwächt, verließ er das Krankenhaus. Doch er brauchte nicht wie ein verwundeter Bär ins Präsidium zu kriechen. Sein Chauffeur brachte ihn hin.
    Sergeant Brodsky wartete in Isaacs riesigem Chrysler vor dem Krankenhaus. Er konnte sich nicht mit dem jetzigen Aussehen des Chefs anfreunden. Isaac war mit krausen Koteletten in die Bronx gegangen. Mit Verbrennungsrückständen in der Nase war er zurückgekommen, und seine marokkanischen Hosenträger hatte er sich ruiniert: Sie waren mit einer dicken Schicht weißer Schokolade verkrustet. Sein Haar wirkte so unordentlich wie zerrupftes Gefieder. Der Chef war ganz grau. Sechs Guzmanns in einem Süßwarenladen hatten an seinem Mark gezehrt. Es konnte kein harmloser Winter für Isaac gewesen sein. Papa Guzmann gestattete in der Boston Road keinen Winterschlaf.
    Der Chef kam auf den Chrysler zu. »Brodsky, in der Charles Street ist ein kleiner Junge umgebracht worden. Sie haben ihn vom Dach

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