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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Papa hätte nicht sagen können, ob er Aras, Amazonenpapageien oder Kakadus erstanden hatte. Den Papageien schien es zu widerstreben, ihre schweren Gehirne in Bewegung zu setzen. Doch für Geld konnte Papa sie von ihrer Trägheit heilen. Wenn die Turistas ein paar Barcelona-Pennys auf die Theke seines Standes warfen, flüsterte Moses mit den Vögeln, stach mit einem Stückchen Draht gegen ihre Bäuche und grinste sie an, bis sie Anzeichen von Lebhaftigkeit zeigten. Sie knackten mit ihren verkümmerten Schnäbeln Walnüsse, pickten Beeren aus Papas Faust, schlugen in ihren Käfigen Purzelbäume und sangen heisere Einwortlieder.
    Es waren englische Vögel. »Piss« schrien sie einem zu, oder sie nannten Isaac den Tapferen. Das exotische Gefieder hatte Moses den Papageien verliehen, der ihre Federn jede zweite Woche anmalte. Zum Trocknen sperrte er die Vögel in den Außenabort, der zur Wohnung der Guzmanns in der Calle Reina Amalia im Chinesenviertel gehörte. Topal und Alejandro mussten sich mit Papageien über den Ohren hinkauern.
    Zorro lachte sich über Papas Klo kaputt. Er wollte seine Hose nicht vor Vögeln fallen lassen, die einem sagten, wann man pissen sollte. Der Fuchs hatte die sanitären Verhältnisse von Manhattan noch im Kopf. Er erleichterte sich lieber in der verspiegelten Toilette des Hotel Presidente und warf der Concierge zehn Pesetas hin. Ins Presidente zog er immer einen orangen Anzug an; er kaufte seine Oberbekleidung nicht in den Herrenboutiquen am Paseo de Gracia. Zorros Taschentücher, Manschettenknöpfe, Schnürsenkel, Socken und Krawatten stammten aus der Boston Road.
    Der Fuchs hatte morgendliche Pflichten. Er brachte Jorge zu Moses’ Stand auf den Ramblas, und sein Vater und seine Brüder trugen die Vögel. Moses und die Jungen setzten sich auf ihre Bank und träumten von Jerónimo. Sie waren in sich selbst versunken und vergaßen, den deutschen Touristen die Brieftaschen abzunehmen. Ohne Zorros Daumen wären sie verhungert. Selbst die Papageien waren seiner Gnade ausgeliefert.
    Für den Fuchs war es ein Kinderspiel. Mit einem amerikanischen Taschentuch, das seine Brust zur Hälfte bedeckte, spazierte er auf den Ramblas auf und ab und stieß Touristen an, die sich um die Straßenstände drängten. Er ging den krempenlosen Hüten der Guardia Civil aus dem Weg, wenn er mit einer Brieftasche unter seinem Taschentuch die Verkaufsstände verließ. Manchmal nahm er einen Papagei mit. Der Vogel hockte auf seiner Schulter, die Klauen in Zorros sommerlicher Wollkleidung, den Schnabel in seinem Haar.
    Zorro nahm Vogelscheiße auf seinen Kleidern nicht auf sich, um Gesellschaft zu haben. Der Papagei half ihm beim Stehlen. Die Turistas bewunderten das Gefieder des schläfrigen Vogels, während Zorro in ihren Taschen ein- und ausging. Er konnte neunhundert Peseten in der Stunde verdienen.
    Heute grub sich der Vogel in seine Schulter. Zorro konnte die Farbe auf seinen Flügeln riechen. In der Calle del Hospital machte er Rast und bestellte sich einen Café tinto und ein Mokkaeis. Der Vogel erwachte lange genug, um auf Zorros Mokkaeis einzuhacken. »Du Schwanzlutscher«, sagte Zorro.
    Der Vogel versprühte das Eis auf den Fuchs. Zorro hätte seinen Schädel gegen die Steine des Barrio Chino geschlagen oder seinen verkümmerten Schnabel endgültig verkrüppelt, aber er hatte Diebesgut in der Tasche, und er wollte kein Aufsehen erregen.
    Die Barcelinos hielten ihn fälschlicherweise für einen Zuhälter. In ganz Katalonien konnte man keinen zweiten orangen Anzug finden (ein polnischer Schneider in der Bronx hatte ihn zurechtgeschneidert). Zorro hatte die Zuhälterei aufgesteckt, als sein Bruder gestorben war. Er war kaum noch ein Dieb. Er hätte die Touristen nicht belästigt, wenn sein Vater und die Vögel in der Lage gewesen wären, sich selbst zu ernähren. Er hätte unter dem Kolumbusdenkmal am Hafen herumgelungert und in der Calle del Paradis zum Mittagessen die Suppe der Fischer zu sich genommen. Er hätte für deutsche, italienische und schwedische Touristen mit dem Papagei auf seiner Schulter posiert und ihnen Peseten abgeschwatzt. Dann könnte er im Presidente oder im Ritz pinkeln, nach Barceloneta gehen, auf der Muelle de Pescadores sitzen, die am Stadtrand lag, und einen seiner Schnürsenkel ins Mittelmeer werfen. Er würde auf dem Schaum tanzen. In Barceloneta geht kein Schnürsenkel unter.
    »Jerónimo.«
    Zorro drehte seine Backe um. Der Papagei knabberte an seinem Hirn. Er starrte ihm ins

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