Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
Vom Netzwerk:
linke Auge. Das Auge war mit gelber Farbe verschmiert.
    »Erwähne meinen Bruder nicht«, sagte Zorro. »Ich drehe dir den Hals um, du kahlköpfiges Stück Scheiße.« Die Barcelinos starrten den Mann und den Vogel an.
    Zorro trank seinen Café tinto aus. Der Papagei stupste Zorros Ohr an. Er verfütterte das restliche Eis an den Vogel. Das Mokkaeis füllte die Sprünge in seinem Schnabel. Zorro tupfte den Vogel mit seinem Taschentuch ab. Sie ließen die Calle dei Hospital hinter sich und gingen ans Meer.

SECRET ISAAC

TEIL EINS
1
    Wer ist der Kerl, wer bellt uns an und beißt uns in die Wangen? Tiger John, Tiger John. Die Iren aus dem Büro des Commissioners sangen das auf den Gängen, wenn der Chef nicht in der Nähe war. Sie machten sich über ihn lustig und fürchteten ihn zugleich. Man konnte nie wissen, wo seine Wut zuschlug. Er war ein drahtiger, kleiner Mann mit grauen Haaren, die ihren Glanz verloren hatten und bittergelb geworden waren. Sie erinnerte an Stroh, diese Mähne aus toten gelben Haaren, aber das tat seinem Aussehen keinen Abbruch. Er war einundsechzig Jahre alt, besaß aber die Energie und die eifrigen Gesichtszüge eines dummen Jungen.
    Die Iren konnten sich nicht mehr erinnern, ob Tiger John vorher Captain in der Bronx oder eine Schmeißfliege des Chief Inspectors gewesen war. Über seine Vergangenheit sprach man nicht. John hatte für lange, lange Zeit in tiefstem Winter gelebt. Er war ständig in einem kleinen irischen Club für altersschwache und alkoholkranke Cops auf der First Avenue zu finden gewesen, bis ihn der ehrenwerte Sammy Dunne aus dem Ruhestand zurückgeholt hatte. Die beiden waren so etwas wie Brüder, der Bürgermeister und sein Police Commissioner.
    Der PC schloss sich für eine Stunde ein und kämmte sich das tote, gelbe Haar. Im alten Präsidium hatte John einen Kamin, einen eigenen Balkon und seinen eigenen Fahrstuhl gehabt. Damit konnte er so oft rauf- und runterfahren, wie er wollte. Niemand außer seinem First Deputy durfte diesen Fahrstuhl benutzen. Jetzt hatte er noch nicht mal einen First Deputy, der ihn hätte trösten können. Sein First Dep war verschwunden. Hatte sich in Luft aufgelöst. Der berühmte Isaac Sidel. Dieser Isaac befand sich ständig auf irgendeiner bescheuerten Mission.
    John hatte plötzlich Durst auf Tee. Er musste gar nicht erst nach seinem Chauffeur brüllen. Chinatown war auf der anderen Straßenseite. Er suchte sich ein kleines, dreckiges Café, den China Pot, wo man ihn nicht als den Commish erkennen würde. Hierher kam nie ein Polizist. Es war nur ein Loch in der Wand auf der Baxter Street.
    Vom Fenster aus konnte man Tiger John nicht sehen. Er hockte an einem Tisch, der von der Theke, einem windschiefen Regal und der Kaffeemaschine verdeckt war und trank grünen Tee. Er bestellte Brötchen mit Huhn und einen Keks aus Mandelpaste. Plötzlich spürte John einen Luftzug im Café. Er sah von seiner Tasse und den Brötchen auf. »Himmel, bist du das, Jamey O’Toole?«, fragte er den Mann am Nachbartisch. Die Beine des Zwei-Meter-Mannes nahmen den halben China Pot ein. Es war nicht diese unmögliche Größe, die Tiger John irritierte. Mit solch ungeheuren Dimensionen konnte er leben. Aber zwei Iren im selben Café, das war keine gute Idee.
    Jamey warf dem Commissioner ein Sparbuch auf den Schoß. »Ein Präsent für dich … vom König.« John nahm das kleine Buch in die Hände und schlug es unterm Tisch auf. Sechstausend Dollar und dreiundzwanzig Cents. Das Konto lautete auf den Namen Nosey Flynn.
    »Jungchen«, flüsterte John, »wie soll ich denn die Unterschrift von Mister Nosey Flynn nachmachen?«
    Jamey schlug vor, er solle die linke Hand nehmen.
    John hatte einen ganzen Stapel solcher Bücher. Er hielt sie mit einem Gummiband zusammen. Sie kamen von O’Toole und lauteten auf verschiedene Namen. Stets irische. Simon Dedalus, Paddy Dignam, Gertrude MacDowell, Molly und/oder Leopold Bloom …
    Wer zum Teufel war dieser König, von dem Jamey sprach? Ein irischer Schläger mit hervorragender Hochschulbildung. Er hatte sich nach Dublin verabsentiert, denn es herrschten gerade frostige Zeiten. Sonderstaatsanwalt Dennis Mangen hatte begonnen alles mit Argusaugen zu verfolgen, was in der Stadt passierte. Mangen war es auch, der Tiger John das Leben so schwermachte. Mangen verspeiste Police Commissioners zum Frühstück.
    »Jamey, komm nicht wieder her.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich nicht möchte, dass Mangen deinen Arsch in Chinatown entdeckt.

Weitere Kostenlose Bücher