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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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fern. Sie hatten in diesem Hotel Zimmer für all die »Bräute«, die ihnen gehörten oder die sie managten. Die »Bräute« waren schwarze Mädchen unter neunzehn. Mindestens eine von ihnen war schwanger. Sie mochten den alten Mann. Er knurrte sie nicht an, linste ihnen nicht unter die Sommerröcke. Die schwitzigen Brustwarzen einer Hure konnten ihn nicht verwirren. Also unterhielten sie sich mit dem alten Penner, teilten ihre Orangenlimonade mit ihm, vertrauten ihm Geheimnisse an. Die »Bräute« hatten ihre eigenen Ecken. Niemand konnte ihnen ihre Rechte streitig machen. Wenn es regnete, arbeiteten sie in kleinen Schaufensterwohnzimmern. Es war ein lausiges Jahr. Für fünf Dollar gehörte einem die halbe Welt. Es gab nichts, absolut nichts, was sie für einen Mann nicht tun würden. Die »Bräute« waren zwanzig Stunden am Tag auf der Straße. Der alte Mann konnte die Unerfahrenheit in ihrer Anmache sehen, die Hysterie, wenn sie sich einen Freier krallten und sagten: »Schätzchen, wie wär’s?« Ihre Verführungskünste waren bestenfalls dürftig. Die schwarzen Mädchen waren ihren Luden treu. Die meisten weißen Nutten, die dieselben Straßen abgrasten, hassten jeden Mann, der sie anrührte. Sie waren Lesben und religiöse Fanatikerinnen. Der alte Penner war ihnen suspekt. Sie küssten ihre Freundinnen nicht in seiner Gegenwart. Sie versuchten ihre Stenze zu überreden, ihn zum Teufel zu jagen.
    Der alte Mann aber war auf merkwürdige Weise immun.
    Das hatte etwas mit dem Wurm zu tun. Er hatte mit einer Familie geistig verkümmerter, südamerikanischer Taschendiebe und Gauner im Krieg gelegen. Diese Familie hatte ihm den Wurm verpasst. Der alte Mann hatte einen von ihnen getötet, einen anderen zum Krüppel gemacht und den Rest der Sippe in eine ausländische Hölle verbannt. Nun krochen sie in Barcelona im Dreck und verkauften Papageien mit kaputten Schnäbeln. Und dieser alte Mann hatte ihren Wurm im Bauch, einen Hakenwurm, der ihn Zentimeter um Zentimeter auffraß.
    Gewisse Männer stiegen aus glänzenden Buicks und tuschelten mit dem alten Penner. Sie waren viel zu gepflegt, um von der Sitte zu sein, und sie trugen auch nicht die weiten Hosen der Jungs vom Morddezernat. Die Luden fragten sich: Wer ist dieser Saftarsch? Ihre Freunde auf dem nächsten Revier verstummten, wenn man den alten Mann mit dem Wurm auch nur erwähnte.
    Er entwickelte einen ausgemacht üblen Gestank. Er dachte nur selten daran, die Hose zu wechseln. Er rasierte sich nicht mehr als einmal die Woche. Er fütterte seinen Wurm in einer griechischen Fettbude auf der Eighth Avenue, Ecke Fünfundvierzigste Straße. Er aß Salate und Weizenvollkornbrot. Dann gab er seinen Gelüsten nach und kroch auf einen Cappuccino zur Ninth Avenue. Das war seine große Schwäche. Starker Kaffee mit aufgeschäumter Milch.
    Der Kaffee war schlecht für seinen Wurm. Seine tausend kleinen Häkchen krallten sich dann ins Gedärm des alten Mannes und er stolperte durch die Straße, schimpfte »Fuck, Himmel, Scheiße« oder welcher Irrsinn ihm sonst noch in den Kopf kam. Für fünf oder sechs Tage mied er Kaffee. Dann konnte er sich nicht mehr beherrschen.
    Nach einem dieser Cappuccino-Anfälle, als der Wurm ihn halb zu Tode ringelte, sah er sie auf der Dreiundvierzigsten Straße. Keine gute Ecke für eine Prostituierte. Hier liefen immer ziemlich viele Cops herum, die die Lastwagenzufahrten rund ums New-York-Times- Gebäudebewachten. Der Bürgermeister hatte Angst vor der New York Times. Deshalb ließ er seinen PC, Tiger John, die Dreiundvierzigste Straße mit Cops in Uniform und Zivil überschwemmen. Wer hatte also dieses Mädchen dort postiert? Irgendein verzweifelter Stenz, ein Anfänger vielleicht, der die Wahrheiten vom Times Square noch nicht gelernt hatte? Eine Mulattenqueen war sie auch nicht. Der alte Penner betrachtete ihr Profil. Eine weiße Nutte ohne diesen harten Glanz der Männerhasserin in den Augen. Sie war schön. Sie hätte die Begleiterin eines reichen Mannes sein sollen und keine Bordsteinschwalbe.
    Der alte Penner war kein Lüstling. Er hätte diese Schönheit nicht in sein Hotel mitgenommen. Er hatte eine Tochter mit den gleichen schlanken Fesseln. Die Tochter war wild nach Männern. Sie konnte nicht anders, sie musste immer wieder heiraten und sich scheiden lassen. Sie war erst neunundzwanzig und hatte schon ihren siebten Ehemann. Der Alte beschloss für diese Schönheit den Vater zu spielen und sie von der Dreiundvierzigsten Straße zu

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