Das Isaac-Quartett
Schaufenstern der Metzger; seine Augen folgten den strangulierten Hälsen und bedauerten das Fehlen der Federn mehr als den Verlust des Lebens. Sein Schweigen ging tiefer als das aller Coens. Er konnte fester zupacken als alle anderen Guzmanns. César mochte er am meisten, dann kam sein Vater, dann Topal, dann Alejandro, dann Jorge, dann Onkel Sheb. Er vermisste den Eierladen, den blauweißen Strahl der Maschine zum Durchleuchten der Eier, Jessica Coens Erbsensuppe. Er war ein Menschenkind mit ausgeprägten Zuneigungen, Verhaltensweisen und Ängsten. Er ging nicht unter einer Leiter durch, aber er konnte selbst den verlaustesten Hund küssen. Für zahnlose Abuelitas (Großmütter) und arme Negerjungen riss er große Stücke Halva ab, für junge Frauen nicht. Er war lieb zu Eichhörnchen, fies zu Katzen. Er erkletterte ohne weiteres eine Feuerleiter, um einer Taube den kaputten Flügel zu richten. Vögel mit blutigen Augen ignorierte er. Coen sah ihn von der Hidalgo Street aus den Park durchqueren; seine Schnürsenkel waren offen, seine Hosen mit Süßigkeiten gefüllt, seine Stirn verwirrt gerunzelt; er hatte Coen nicht entdeckt. Die Flecken auf seinem Gesicht wurden dunkler, während er den Park absuchte. In seiner Verzweiflung zog er ein Ohr aus seiner Mütze. Coen rief: »Jerónimo, Jerónimo.« Jerónimos Augen traten vor. Die Spinnweben verschwanden. Seine Fäuste schlugen durch die Luft, als er auf Coen zurannte. Coen band Jerónimo die Schuhe. Dann umarmten sie sich, und Jerónimo quetschte Coens Rippen mit einem Ellbogen. Er hatte dichte graue Koteletten. Die Haare in seiner Nase waren ebenfalls grau. Auf seinen Knöcheln waren sie Guzmann-schwarz. Er wischte sich die Spucke ab, damit er sprechen konnte. Er murmelte Coens Vornamen, sagte »Manfro«. Er packte Coen an der Hand und zog ihn aus dem Park. Aber er wollte Coen nicht über die Straße gehen lassen, ehe die Ampel auf »Pase« schaltete. Dann führte er Coen direkt in die Eisdiele eines großen Kaufhauses an der Madero. Er bestellte sich heißen Tee und für Coen einen Eisbecher mit Schokolade. Er bröselte Halva in seinen Tee und knetete die Karamellen seines Vaters mit einem starken Daumen weich (das Baby hatte unglaubliche Finger). Das Eis schmeckte nach Käse. Auf hohen Hockern mit den Schenkeln in einer vertraulichen Haltung wollte Coen das Baby über Mordeckay, César und die mexikanischen Marranen aushorchen, über die Reise von der Boston Road via Manhattan in die Belisario Dominquez. Doch Jerónimo ging nicht auf seine Listen ein, und so beschäftigte er sich mit der sauren Schokolade in seinem Eisbecher.
Als er mit dem Baby durch die Madera ging, spürte Coen, wie unpassend Mexiko für einen Jungen aus der Bronx war. Seine Hand lag in Jerónimos dreifingrigem Griff; beide hielten mit gesenkten Köpfen nach Pfützen und Sprüngen im Bürgersteig Ausschau und hätten ebenso gut in der Boston Road sein können. Am Zócalo, dem früheren Hauptplatz, wandte sich das Baby nach links und führte Coen in ein Basarviertel. Jacketts, die aus dem Hause Juan el Rojos stammten, hingen wenige Zentimeter vor Coens Kopf. Salons de belleza (Schönheitssalons) und Schulen für Funker führten eine friedliche Koexistenz. An der Aveni da 5 de Febrero reichten die Verkaufsstände von einem Ende zum anderen. Jerónimo und Coen traten in eine Pasteleria, nahmen sich eine Kuchenzange und luden Torte, Hefestückchen und Blätterteigschnitten auf ein Tablett. Jerónimo ließ beim Umgang mit der Zange die Zunge heraushängen. Coen tat es den anderen Kunden gleich, packte einen riesigen hölzernen Streuer mit abgerundetem Kopf und stäubte eine ansehnliche Menge Puderzucker auf Jerónimos Kuchen, doch Jerónimo wollte mehr. Coen begrub das Gebäck unter einer Zuckerschicht. Er zahlte weniger als fünf Pesos (das Äquivalent zu neununddreißig Cents) für die sechzehn Gebäckstücke auf dem Tablett. Mit geschwollenen Backen und einem Schnurrbart aus Zucker traten sie wieder auf den Zócalo. Endlich sagte Coen: »César macht sich Sorgen um dich, Jerónimo. Hast du genug zu essen? Kommst du mit Mordeckay zurecht?«
Das Baby schnippte sich Zucker von den Lippen.
»Was soll ich César erzählen, Jerónimo?«
Jerónimo küsste Coen über die Augen und führte ihn an den Rand des Alameda-Parks.
»Baby, soll César kommen und dich holen?«
Coen versuchte, mit dem Baby in den Park zu gehen, doch Jerónimo hielt seine Faust fest und hinderte ihn daran. »Haus«, sagte er
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