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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Notfall auch allein.
    Coen ließ ihn mit ausgestreckten Beinen und seinen Träumen vom Hemd des Chinesen allein. »Ich komme später noch mal vorbei, Arnold. Auf Wiedersehen.«
    Er fand den Alkoholiker stöhnend auf der Treppe vor. Der alte Mann hatte neue Beulen am Schädel und Blutsprenkel im Schleim auf seinem Kinn. Doch er war nicht untröstlich genug, um keine Pose einzunehmen. Er lief mit den Armen am Geländer und dem Steiß in der Luft herum. Seines Publikums von Knaben in Unterhemden beraubt, erschienen Coen seine Kunststücke nur noch erbärmlicher. »Einen Dollar für Verbände und Kaffee«, sagte der Alkoholiker. Coen gab ihm den Dollar und zog seinen Rumpf dorthin, wo er hingehörte, auf die Treppe zurück. Vor dem Hotel geriet er in Panik, gab sich die Schuld am Tod seiner Eltern. Er hatte Albert und Jessica im Stich gelassen (und Sheb), hatte zugelassen, dass die Armee ihn ausgerechnet nach Deutschland verfrachtete. Wenn er in der Bronx gewesen wäre, hätten sie sich nicht für den Ofen entschieden. Ihm als einzigem Kind hätte die verschlossene Natur seines Vaters klar sein müssen, die Unausgeglichenheit hinter dem ruhigen Äußeren. Coens mussten sich auf Coens stützen.
    Er ging zur Central Park West, zu dem Spielplatz gegenüber dem Haus, in dem Stephanie wohnte; dort, fern von den reichen Nachbarn und der Aura der Zahnklinik ihres Gatten, verbrachte sie ihre Vormittage mit Judith und Alice. Sie saß immer hinter einem ganz bestimmten Baum, alles über ihren Hüften in tiefem Schatten und Judith und Alice waren mit dem Sand beschäftigt. Coen wollte die Mädchen sehen. Albert und Jessica lagen ihm schwer auf der Seele und Arnolds Schuh raubte ihm fast den Verstand; er brauchte die wärmende Nähe der Familie einer früheren Gattin, wollte Töchter für sich beanspruchen. Wenn Stephanie es vorgezogen hätte, um neun Uhr morgens ungestört zu sein (sie hatte Milchflaschen für sich und die Mädchen dabei), so zeigte sie es zumindest nicht. Schon am anderen Ende des Spielplatzes erkannte sie Coen an seinem gebeugten Gang. Seine rohen Bullenschritte irritierten sie; doch seine ungeschliffene Schönheit, der Schneid in seinem Gesicht, konnte ihre Erinnerungen an den bösen Coen auslöschen, an seine Unterwürfigkeit gegenüber Isaac, an sein stummes Dasein neben ihr, an die Verwirrtheit in seinem Kopf. Coen blieb auf ihrer Fährte; er setzte seine brutale, zusammenhanglose Werbung um sie fort. Er brach in ihre Wohnung ein, presste sie brunftig gegen die Badewanne, aß verdrossen mit Charles zu Abend und war dann wieder für Wochen verschwunden. Dennoch war sie, die mit den nassen Milchflaschen im Schoß hinter dem Baum hockte, froh, dass er gekommen war. Die Mädchen kletterten aus der Sandkiste. »Daddy Fred. Daddy Fred.« Er warf sie sich über die Schultern, hielt sie mit festem Griff am Hintern und murmelte vor sich hin: »Scheiße.« Wieder kam er mit leeren Händen, besuchte sie zur falschen Tageszeit; die Geschäfte für Nüsse und Krimskrams waren geschlossen. Stephanie musste lächeln. Er hielt die Mädchen mit solcher Hingabe im Arm, dass sie ihn nicht ausschließen konnte. »Ein Glas Milch, Freddy?«
    So kam er zu seinem zweiten Frühstück, Plätzchen in Tierform und blutwarme Milch; Arnolds Käse steckte ihm noch in der Kehle. Er war nervös und ihm fiel nichts anderes ein, als sie nach Charles zu fragen. Sie wollte ihn nicht mit Geschichten aus der Klinik unterhalten. »Er blüht und gedeiht«, sagte sie. »Er kommt mehrfach wöchentlich aus der Bronx zu uns, um seine Töchter anzuschauen und mich lieb zu behalten. Freddy, wer ist dein langhaariger Freund?«
    Coen mampfte auf einem Plätzchen. »Wie meinst du das?«
    »Der Mann, der mir seit einigen Tagen jeden Morgen folgt und Seifenblasen für die Mädchen macht. Er nennt mich ›Mrs. Manfred‹.«
    »Steffie, hast du ihn heute schon gesehen?«
    »Ja. Eine halbe Stunde, ehe du gekommen bist.«
    »Ist es eine Art Chinese mit einer roten Perücke?«
    »Ich glaube schon. Zumindest hat er einen chinesischen Einschlag.«
    Coen setzte die Mädchen ab. »Dieser Schurke.« Er sprach mit einem Knöchel im Mund. Er trat mit den Füßen um sich. »Verfluchter César.«
    Judith legte ihre Hand auf Stephanies Schenkel. Alice hielt sich an Coen fest. »Was hast du, Freddy?«
    »Nichts«, sagte Coen. Er kniete sich vor Alice hin. »Nimm keine Süßigkeiten von dem Chinesen an.« Er packte Judith am Handgelenk; der Babyspeck rührte ihn. »Wer dich

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