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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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trugen blaue Leinenkittel und klobige Schuhe in einem neutralen Braun; wie Affen mit blau gesprenkelter Haut beugten sie sich über ihre Nähmaschinen. Sweeney stand auf diese Mädchen, und in der halben Stunde, die sie freihatten, saß sie oft mit ihnen in einem Imbiss an der Green Street und erzählte ihnen Geschichten von den Eisenbauten SoHos und den Ratten, die in diesen Gebäuden lebten und Metall verdauen konnten, bis sie an dem Rost starben, der ihnen die Ohren verstopfte. Sweeney musste die Begleiterin der Mädchen mit in Kauf nehmen, eine abscheuliche Frau, die sie bei ihren Geschichten unterbrach, sie finster ansah und die Mädchen zurück zur Arbeit trieb. Im Übrigen spielte sich Sweeneys Existenz im Dwarf ah.
    Sie war in Odile verliebt. Die Barkeeperinnen wussten es. Mädchen, die regelmäßig im Dwarf tanzten, lachten sich in die Ärmel ihrer Jeansjacken, wenn sie Sweeney beobachteten, die über Odile wachte. Sweeney war von einer Ernsthaftigkeit, die Odiles Partner nicht verstehen konnten. Sie betatschte nicht im Hinterzimmer Odiles Busen wie Dorotea und Nicole, und sie spielte auch nicht mit ihrer Zunge hinter Odiles Ohr wie Mauricette. Nicole und Mauricette kamen ins Dwarf, um Odile zu kriegen, nicht um zu glotzen. Wenn Odile nicht da war, zogen sie paarweise mit frischen »Schwestern« ab. Dorotea brachte Odile noch am ehesten eine Art von Hingabe entgegen, doch selbst Dorotea hatte Odiles Fixiertheit auf Männer langsam satt. Sweeney war es, die sich nicht von Odiles wankelmütigem Verhalten abschrecken ließ, von ihrer Befleckung durch männliche Kunden, ihrer Zurückhaltung im Dwarf. Odile war für alle Schwestern noch »Neuland«. Diese schweinischen Männer zählten nicht. Vielleicht entblößte sich Odile für einen Schwung kleiner Gangster aus der Bronx, doch mit Dorotea, Nicole oder Mauricette hatte sie nicht geschlafen. Die Schwestern waren vorsichtiger als Sweeney.
    Mit Taufnamen hieß sie Abigal, Abigal Ruth McBean, und die ersten elf Jahre ihres Lebens war sie Abigal gewesen; dann hatte sie in einer Schenke in Providence, Rhode Island, in der ihr Vater als Kellner und Klavierspieler arbeitete, den Namen Sweeney bekommen und beibehalten. Außer Odile kam keiner der Stammgäste des Dwarf ausManhattan. Ihre Cousine Janice war aus Montauk geflohen; Nicole und Mauricette waren Mädchen aus Connecticut. In einem Monat würde Sweeney dreißig werden. Sie hatte vor, ihren Geburtstag mit einem Geschenk an Odile zu feiern. Doch sie sah gewisse Schwierigkeiten auf sich zukommen. Odile würde keine Kleidung von Spike oder einem der entsprechenden Ledergeschäfte tragen. Sweeney würde zu Bergdorf oder zu Henri Bendel gehen müssen; dort waren die Verkaufskräfte zu hochmütig, um sich als einfache Kassierer zu empfinden, und Geld berührten sie gerade nur lange genug, um es einer unsichtbaren Kassenhilfskraft durch den Schlitz ihrer Zelle zu stecken (bei Henri Bendel wurden Schecks lieber gesehen als Bargeld). Sweeney, die selten in die Fünfundsiebzigste Straße kam, fürchtete sich vor diesem Laden. Sie würde in einer Armeejacke, der Sorte für die kalte Jahreszeit, die man bis über die Ohren knöpfen konnte, zu Bendel gehen müssen; einen anderen Mantel besaß sie nicht (sie konnte sich höchstens Janices Einreiher borgen).
    Am Mittwoch, ihrem freien Tag, grübelte sie bis vier Uhr nachts und bereitete sich auf das Trauma Modegeschäft vor. Sie konnte achtzig Dollar ausgeben, die jährliche Dividende einer Versicherung, die ihr Vater im Alter von sieben Jahren für sie abgeschlossen hatte und die nicht vor Sweeneys fünfundvierzigstem Geburtstag ausbezahlt würde. Es läutete an der Tür. Sie wollte sich von keinem Besucher in ihren Gedankengängen unterbrechen lassen. »Geh weg«, sagte sie. »Schiff jemand anderem an die Tür. Ich abonniere keine Groschenromane. Wenn du für wohltätige Zwecke sammelst, bin ich auch nicht zu Hause.«
    Sweeney war angesäuselt; der Irish Coffee, den sie getrunken hatte, um sich mit Henri Bendel zu befassen, löste Halluzinationen bei ihr aus. Sie ging nicht an die Tür.
    Dann riss sie an der Klinke; sie erkannte Odiles Quieken. »Baby«, sagte sie, »wieso treibst du dich so spät noch rum?«
    Odile klopfte Staub von den Kreppgummiabsätzen ihrer Schuhe mit Plateausohlen. »In meiner Wohnung ist ein Mann, Sweeney. Ein lockiger Mann.«
    »Der Bulle, der vorhin da war? Der kleine Blonde? Odile, du bist ganz schön versumpft heute.«
    »Er ist nicht gegangen,

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