Das Isaac-Quartett
seiner Augen. Er erinnerte sie an die Fixer, die im Hauseingang gegenüber vom Dwarf rumhingen, blutleere, graue Gesichter ohne richtige Augäpfel; so sehr hatte er nach dem Duell mit Coen die Façon verloren. »Ich hab dir Fahrgeld gegeben«, sagte sie. »Jetzt hau schon ab.« Er fiel einen weiteren Schritt hinter sie zurück. Sie winkte einem Taxi und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Noch auf der Columbus änderte sie ihre Einstellung. Sie forderte den Taxifahrer auf, einmal um das Quadrat zu fahren; als sie Sylvio fanden, hatte sein Taxameter dreißig Cent gefressen. »Steig ein.«
Er kauerte sich hin, die Knie höher als den Kopf. Er wagte nicht, Odile noch einmal anzurühren. Unbehaglich rieb er sich das Kreuz am Polster. Odile hatte ihn nicht in die Enge treiben wollen.
»Mein Onkel hat mich schlecht beraten.«
»Mama, ich bin am Ende. Weißt du, was es heißt, gegen einen Leichnam zu spielen? Ich habe sein Blinzeln gezählt. Zweimal bei dreißig Ballwechseln. Das ist nicht menschlich. Mit einem Menschenmann kann ich es aufnehmen. Frag rum. Frag, wann Sylvio Neruda zum letzten Mal Geld unter dem Tisch gelassen hat.«
Sie sagte: »Halt’s Maul.« Bis zur Christopher Street saß er mit verschränkten Armen da. Sie wollte ihn nicht fortlassen, ohne ihn zu packen. Ihre Zunge fuhr über seine Zahnlücken. Selbst der Taxifahrer wurde argwöhnisch. Er konnte nicht glauben, dass solche Küsse in seinem eigenen Taxi stattfinden konnten. »Es tut mir leid«, hauchte Odile Sylvio ins Ohr. Die Hitze einer sich bewegenden Lippe gefiel ihm. »Er ist ein Eisblock, dieser Coen. Eiskalt. Ein ganz großes Arschloch, das Isaac heißt, hat ihm beigebracht, so zu sein.«
Sylvio stieg wackelig aus. Odiles Nähe musste den verrückten Knochen in seinem Knie aktiviert haben. Wie sollte man den Kuss einer Heiligen werten? Das Mädchen hatte eine bittere Zunge, das war wahr. Sie hatte ihm die Kraft aus den Beinen gesogen, Santa Odile. Nie mehr würde er sich auf weibliche Wetten einlassen. Übellaunig erreichte er den Pingpong-Raum; er sah die Spieler nicht an, dankbar für die reine Gnade fluoreszierenden Lichts.
TEIL DREI
14
Papa kam in dem gleichen Moment, als Coen ihn besuchen wollte, um ihn zumindest zu warnen, was Jerónimos Verfolger betraf, ihn wegen des Schweigegeldes für Sheb zu beschimpfen, ihn vielleicht auch zu verfluchen, weil er seine Nase in die Geschäfte seines Vaters gesteckt hatte. Coen wusste schon, dass er von der Sippe vor der Tür erwartet wurde, als er einen übermäßigen großen Kopf unter seiner Feuerleiter sah. Es war Jorge, der ein spanisches Gebäck mit Marmeladefüllung aß. Der Junge konnte keine Straßenschilder entziffern, aber mehr Muskeln, als Jorge hatte, würde Papa niemals brauchen. Er konnte mit einem Finger ein Auge ausstechen, einen Nacken zwischen seine Kiefer nehmen, nach Hoden grapschen oder jemanden mit einem Küchenmesser aufspießen. Wegen einer Lappalie hätte Papa die Bronx nicht verlassen. Deshalb hielt sich Coen auch nicht lange vor der Tür auf. Er schickte Papa ins Wohnzimmer; Jorge blieb auf der Straße stehen und sah sich nach Bekannten um. Jorge sollte pfeifen, wenn er einen Bullen in Zivilkleidung oder einen Gangster, der mit Isaac zu tun hatte, sah. Er hielt sich das Marmeladestückchen dicht vor den Mund. Seine Nägel waren wunderbar rosa, weil er Unmengen Schokoladenmilch trank.
Coen bot Papa Pfirsichschnaps oder einen Bronx-Snack an: Kirschsoda und Salzstangen. Papa lehnte ab. Er hatte Coen mechanisch geküsst und sich auf einen Stuhl in der Ecke gesetzt. Er trug seine Arbeitskleidung, eine alte Drillichjacke mit Sirupklümpchen auf den Ärmeln. Von Zeit zu Zeit nieste Papa in seine wattierte Schulter. Er hasste die Leidenschaft der Nordamerikaner für übertriebene Hygiene. Wenn er hinter der Theke stand und nicht fort konnte, pisste er sich in den Schuh. Er hatte seine Jungen noch nie öfter als einmal wöchentlich gebadet. Die Käfer in seinen Sirupfässern ließ er weiterschwimmen. An einem Guzmannschen »Black and White« war noch niemand gestorben. Das dünne, homogenisierte Zeug aus den Milchgeschäften der Bronx, das keinen richtigen Schnurrbart auf dem Gesicht hinterließ, konnte er nicht trinken. Papa trank Sahne aus der Dose. Heute waren seine Augen geschwollen, und er musste sich in die Backen kneifen, um das Zucken abzustellen. Coen schien wenig wahrscheinlich, dass sich Papa wegen Geld und Lottozetteln auf den Weg gemacht hatte.
»Manfred, ich
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