Das italienische Maedchen
muss ich nachdenken.« An der Tür wandte sie sich zu ihm um. »Wenn ich morgen früh noch da bin …« Sie zuckte mit den Achseln. »Wenn nicht, dann … gute Nacht, Luca.« Sie öffnete die Tür und verließ die Küche.
Am folgenden Morgen trat Luca sofort nach dem Aufwachen ans Fenster, zog die Vorhänge zurück und sah zu seiner Erleichterung den kleinen roten Mazda nach wie vor in der Auffahrt stehen.
Da klopfte es an seiner Tür.
»Abi, Abi.« Er nahm sie in die Arme. »Ich hatte solche Angst, dass du weg bist.«
»Hast du mir das wirklich zugetraut? Ich liebe dich und muss meine Chance nutzen, sei sie auch noch so klein.«
Sie küsste ihn sanft auf die Wange und löste sich von ihm. »Aber jetzt muss ich erst mal wieder an den Schreibtisch. Wir unterhalten uns später.«
Als die Tür sich hinter ihr schloss, kniete Luca nieder und bat Gott um Vergebung für seine Schwäche.
MET
NEW YORK
Abi blieb also. Natürlich hatte ich damals keine Ahnung, dass sie überhaupt mit dem Gedanken gespielt hatte zu gehen. Jener Sommer ist mir wenn schon nicht als Zeit des vollkommenen Glücks, so doch zumindest des Friedens und der Ruhe für mein gequältes Herz in Erinnerung. Stephen besuchte uns nach der Arbeit fast täglich und spielte eine Weile mit Dir, Nico, bevor Du schlafen gingst, und hinterher aßen wir zu viert auf der Terrasse und genossen die herrlichen englischen Sommerabende. Stephen war kein Ersatz für Deinen Vater – niemand konnte je seinen Platz in meinem Herzen einnehmen –, aber immerhin brachte er wieder so etwas wie Normalität in mein Dasein. Wenn ich auf der Terrasse in die Runde blickte, wurde mir klar, wie glücklich ich mich schätzen konnte, von Menschen umgeben zu sein, die mir wichtig waren.
Allmählich kehrte ich wieder ins Leben zurück. Die Benommenheit, die ich seit der Trennung von Deinem Vater empfunden hatte, begann sich zu verflüchtigen. Statt nur in den Tag hineinzuleben, war ich nun in der Lage, in die Zukunft zu blicken und Pläne zu schmieden, die nichts mit Roberto zu tun hatten. Ich fing an zu glauben, dass der Schmerz tatsächlich eines Tages nachlassen und ich auch zufrieden sein würde, wenn das nicht geschah. Ich dachte sogar wieder übers Singen nach. Stephen, Abi und Luca redeten mir gut zu. Doch ich wusste, dass noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Dein Onkel wirkte glücklicher als seit Langem, ruhig und zufrieden wie Abi. Eigentlich hätte ich merken müssen, was sich direkt vor meiner Nase abspielte, aber ich war mit Blindheit geschlagen, zu sehr mit meinen eigenen Gefühlen beschäftigt.
Dann begannen die Tage kürzer zu werden, und die Blätter an den Bäumen färbten sich bunt. Abi und Luca sprachen davon, dass sie bald abreisen müssten, machten dann jedoch keine konkreten Pläne. Es war, als würden wir vier versuchen, die Zeit anzuhalten. Wir wussten, dass der Sommer irgendwann enden musste, waren aber noch nicht in der Lage, uns der Realität zu stellen …
37
Gloucestershire, September 1982
Luca bereitete in der Küche das Abendessen zu, während Abi am Tisch ein Glas Wein trank.
»Abi, cara , ich muss dir etwas sagen. Ich habe gestern mit Papà telefoniert und muss so schnell wie möglich nach Neapel. Carlotta will mich sehen. Tut mir leid.«
»Das versteht sich doch von selbst. Mach dir meinetwegen keine Gedanken; ich muss sowieso zurück nach London. Mein Lektor ist ganz scharf auf das neue Manuskript, und die Frau von der Presseabteilung hat schon Interviewtermine für mich vereinbart. Ich … Wie lange wirst du weg sein?«
Luca setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. »Das weiß ich noch nicht. Es hängt von Carlotta ab.«
»Okay.«
»Natürlich rufe ich dich an, sobald ich weiß, wie lange ich bleiben muss. Abi …«, er nahm ihre Hände in die seinen und küsste sie sanft, »… dieser Sommer war die schönste Zeit meines Lebens. Egal, was passiert, ich …«
»Was soll das heißen: ›Egal, was passiert‹?« Sie entwand ihm ihre Hände.
»Ich werde dich immer lieben, auch wenn …«
»Du liebst mich also nicht genug, um mir eine Zukunft bieten zu können. Entschuldige, ich dachte, ich käme damit zurecht, aber …«
Abi sprang auf und verließ die Küche. Luca rief ihr nach, doch sie rannte in ihr Zimmer hinauf und knallte die Tür hinter sich zu. Dort trat sie an den Schreibtisch, auf dem schon zehn Tage lang das fertige Manuskript lag. Seitdem gab es eigentlich keinen Grund mehr, nicht nach London zurückzukehren.
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