Das italienische Maedchen
Sie hatte es nur einfach nicht geschafft, sich von Luca zu trennen. Abi setzte sich auf den Stuhl und blickte durchs Fenster hinaus. Der Sommer war vollkommen gewesen. Sie hatten die Tage zusammen verbracht, miteinander geredet und einander auf jede nur erdenkliche Art bis auf die eine geliebt .
Abi legte den Kopf auf ihr Manuskript; plötzlich wurde aus der Freude der vergangenen Wochen Furcht. Er hatte von Anfang an gesagt, dass er ihr nichts versprechen könne. Sie durfte ihm also keine Vorwürfe machen. Und sie wusste, dass dieser Schmerz erst der Anfang war.
Am folgenden Morgen hatten Rosanna und Nico sich bereits von Abi verabschiedet und das Haus verlassen, um sich mit Stephen in Cheltenham zum Mittagessen zu treffen.
Abi zwängte ihr Gepäck gerade in den winzigen Kofferraum, als Luca an die Haustür trat.
»Abi.« Er ging zu ihr und legte die Arme um sie.
»Ich ertrage das nicht. Bitte versuch, mich zu verstehen.« Sie löste sich von ihm, setzte sich hinters Steuer und ließ den Motor an.
Er beugte sich durchs Fenster hinein. »Ich liebe dich, Abi, und ich schreibe dir von Neapel aus.«
»Versprich mir nur eines, Luca.«
»Was?«
»Dass du nicht vergisst, wie du dich diesen Sommer gefühlt hast. Ich wette, dass nicht mal Gott selbst dich glücklicher stimmen könnte. Mach’s gut.«
Luca verfolgte, wie Abi mit dem Wagen zurücksetzte, wendete und mit quietschenden Reifen davonbrauste.
Zum ersten Mal begriff Luca Rosannas Schmerz wegen Roberto wirklich.
Vierundzwanzig Stunden später umarmte Luca auch seine Schwester. » Ciao, piccolina .«
» Ciao , pass auf dich auf und sag Papà, Carlotta und Ella liebe Grüße von mir. Und bitte lass mich wissen, ob ich Carlotta besuchen soll.«
»Versprochen. Ich rufe dich an, sobald ich in Neapel bin.« Luca beugte sich zu Nico hinunter, um sich mit einem Kuss von ihm zu verabschieden. »Pass gut auf deine Mamma auf, angioletto .«
Stephen, der Luca zum Flughafen bringen wollte, wartete bereits. »Ich bin so gegen fünf wieder da«, rief er Rosanna zu, stieg in den Wagen und schloss die Tür. Sie nahm Nico, in der kühlen Herbstluft fröstelnd, auf den Arm und winkte ihnen nach.
Der Sommer war vorbei.
Als Stephen vom Flughafen zurückkam, setzten sie sich mit einem Essenstablett vor den Fernseher.
»Das Haus ist plötzlich so leer und ruhig«, bemerkte Rosanna.
»Das wird nun auch eine Weile so bleiben. Egoist, der ich bin, muss ich zugeben, dass ich es ganz schön finde, dich zur Abwechslung mal für mich allein zu haben. Meinst du, Luca und Abi werden in Kontakt bleiben?«, fragte Stephen.
»Natürlich. Sie haben ihre Freundschaft diesen Sommer erneuert.«
»Glaubst du, das war alles? Reine Freundschaft?«, fragte Stephen.
»Ja. Mein Bruder wird bald zum Priester geweiht. Warum willst du das wissen?«
»Ich habe den Verdacht, dass sie sich immer noch lieben, Rosanna.«
»Nein, sie sind gute Freunde und gern zusammen. Mehr steckt nicht dahinter, da bin ich mir sicher.«
»Wenn du meinst.« Stephen stand auf. »Jedenfalls muss ich jetzt gehen. Ich bin müde von der Fahrerei, und wenn ich noch länger bleibe, schlafe ich ein.« Er schlüpfte in seinen Pullover. »Danke fürs Essen. Ich schau dann irgendwann nächste Woche vorbei, ja?«
Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Sie wollte, dass er blieb, wollte seine Arme um ihren Körper spüren, nicht in diesem leeren, stillen Haus allein sein.
»Geh nicht«, flüsterte sie.
»Wie bitte?« Stephen wandte sich an der Tür um.
»Bitte geh nicht«, wiederholte sie.
»Willst du wirklich, dass ich bleibe?«
»Ja.« Rosanna erhob sich und trat zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Er legte die Arme um sie, und zum ersten Mal küssten sie sich richtig.
Rosanna löste sich von ihm. »Komm mit nach oben, Stephen«, murmelte sie, bevor sie es sich anders überlegen konnte.
»Ich möchte dir einen Vorschlag machen.«
Ein paar Tage nach der Abreise von Luca und Abi war Stephen wie üblich nach der Arbeit zu ihr gekommen und schob nun Nico, der im unteren Teil des Gartens auf der Schaukel saß, an.
»Wird mir dieser Vorschlag gefallen?«, fragte Rosanna lächelnd.
»Keine Ahnung. Ich hoffe es.«
»Raus mit der Sprache.«
»Ende dieses Monats muss ich nach New York zu einem sehr reichen Sammler, den ich aus meiner Zeit bei Sotheby’s kenne. Ich habe ihm einen Prospekt meiner Landschaftsmalerin geschickt, die bei der Ausstellung letzten Monat so viele Bilder verkauft hat,
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