Das Jahr der Flut
noch eine entfernte Erinnerung daran, wie es war, Fleisch zu essen. Aber die Gärtner waren ja strikt dagegen, außer in Krisenzeiten, insofern war die Vorstellung, mir einen Brocken blutigen Muskel und Knorpel in den Mund zu schieben und runterzuwürgen, ziemlich ekelerregend. Aber ich schwor mir, mich auf keinen Fall zu übergeben, denn das wäre mir sehr peinlich gewesen und hätte kein gutes Licht auf Zeb geworfen.
Um Amanda machte ich mir keine Sorgen. Sie war es gewohnt, Fleisch zu essen. Eine Zeitlang hatte sie ständig bei GeheimBurger geklaut. Sie würde mit dem Kauen und Schlucken also kein Problem haben.
*
Am Montag der Sankt-Euell-Woche zogen wir uns unsere sauberen Sachen an − sauber von gestern −, und ich flocht Amanda Zöpfe und sie mir. »Körperpflege unter Primaten«, sagte Zeb immer dazu.
Wir hörten Zeb unter der Dusche singen:
Es kümmert doch keine Sau
Es kümmert doch keine Sau
Wird eh keiner daraus schlau
Denn es kümmert ja keine Sau
Inzwischen fand ich, dass dieser morgendliche Gesang etwas Beruhigendes hatte. So wusste man, dass alles normal war, zumindest für den einen Tag.
Meistens blieb Lucerne liegen, bis wir weg waren, auch um Amanda zu meiden, aber heute stand sie tatsächlich in ihrem dunklen Gärtnerkleid an der Küchenzeile und kochte. Sie hatte sich öfter dazu aufgerafft in letzter Zeit. Sie räumte auch öfter unseren Wohnbereich auf. Es war ihr sogar gelungen, in einem Blumentopf auf der Fensterbank einen kümmerlichen Tomatenstrauch zu züchten. Ich glaube, sie wollte es Zeb ein bisschen nett machen, obwohl sie sich noch öfter stritten als früher. Bei jedem Streit wurden wir rausgeschickt, was aber nicht hieß, dass wir nicht lauschen konnten.
Der Streit drehte sich meistens darum, wo Zeb war, wenn er nicht bei Lucerne war. »Arbeiten«, sagte er immer nur. Oder: »Lass gut sein, Süße.« Oder: »Das
willst
du gar nicht wissen.«
»Du hast ’ne andere!«, sagte Lucerne dann. »Du riechst nach ’ner fremden Fotze.«
»Mann«, flüsterte dann Amanda. »Krass versaut, deine Mutter!«, und ich wusste nicht, ob ich stolz sein oder mich schämten sollte.
»Nein, Süße«, sagte Zeb mit erschöpfter Stimme. »Was sollte ich denn mit ’ner anderen?« »Du lügst doch!«
»Heiliger Hubschrauber! Lass mich verdammt nochmal in Ruhe!«
Zeb kam aus der Duschkabine und tropfte auf den Boden. Ich konnte die Narbe von der Schnittwunde sehen, die er sich damals zugezogen hatte, als ich zehn war. Dabei lief es mir kalt den Rücken runter. »Na, was machen meine kleinen Plebsratten?«, sagte er und grinste wie ein Troll.
Amanda schenkte ihm ein süßes Lächeln. »Große Plebsratten«, sagte sie.
Zum Frühstück gab es schwarzes Bohnenmus mit weichgekochten Taubeneiern. »Super Frühstück, Süße«, sagte Zeb zu Lucerne. Ich musste zugeben, dass das Frühstück wirklich nicht schlecht war, obwohl Lucerne es gemacht hatte.
Lucerne schenkte ihm ihr typisches zuckriges Lächeln. »Ich muss doch dafür sorgen, dass ihr was Anständiges in den Magen bekommt«, sagte sie. »Wenn man bedenkt, was ihr die ganze nächste Woche essen müsst. Vergammelte Wurzeln und Mäuse, vermute ich.«
»Gegrilltes Kaninchen«, sagte Zeb. »Von den Biestern könnt ich zehn verspeisen, mit ’ner Extraportion Mäuse und frittierte Nacktschnecken zum Nachtisch.« Er warf Amanda und mir einen herausfordernden Blick zu: Er wollte, dass wir uns ekeln.
»Hört sich echt gut an«, sagte Amanda.
»Du bist wirklich ein Ungeheuer«, sagte Lucerne und machte ihre Plätzchenaugen.
»Schade nur, dass ich dazu kein Bier kriege«, sagte Zeb. »Komm doch mit, Süße, wir könnten ein bisschen schmückendes Beiwerk gebrauchen.«
»Ach, ich glaube, ich verzichte diesmal«, sagte Lucerne.
»Du kommst nicht mit?«, fragte ich. Am Sankt-Euell-Tag war Lucerne sonst immer hinter uns hergeschlendert, hatte hier und da einen Grashalm ausgezupft, sich über die Insekten beschwert und ein Auge auf Zeb gehabt. Ich wollte sie diesmal eigentlich nicht dabeihaben, aber ich wollte auch, dass alles normal blieb, weil ich das Gefühl hatte, dass alles schon bald wieder ganz anders sein würde, genau wie damals, als ich plötzlich von HelthWyzer weg musste. Es war nur ein Gefühl, aber es bedrückte mich. Ich hatte mich an die Gärtner gewöhnt, ich gehörte dazu.
»Ich glaub, ich kann nicht«, sagte sie. »Ich hab Migräne.« Gestern hatte sie auch schon Migräne. »Ich leg mich einfach wieder hin.«
»Ich
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