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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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ähnlich wie der Spin, aber in diesem Fall verhalten sie sich wie Winkel im fünfdimensionalen Raum. Bei niedriger Energie sieht man drei getrennte Subräume, einen für Elektromagnetismus, sowie jeweils einen für starke und schwache Kräfte.«
    »Warum?«
    »Ein Unfall mit Bose-Teilchen im frühen Universum. Ich will das schnell mal skizzieren …«
    Für die Feinheiten der Teilchenphysik fehlte die Zeit, doch viele Punkte, die außerhalb Chandrasekhars entscheidend waren, waren für Cartan Null ohnehin nur akademischer Natur. Zerstörte Symmetrien wurden wieder ins Lot gebracht, während sie sprachen, wobei die ansteigende kinetische Energie die Unterschiede in der Restmasse bedeutungslos werden ließ. Die Polis mutierte mit rasender Geschwindigkeit zu einer Hybride jedes möglichen Teilchens. Ihre Zukunft würde nicht die Theorie einer Kraft bestimmen, sondern die Natur der Quantenmechanik selbst.
    »Was steckt hinter der Frequenz und der Wellenlänge eines Teilchens?« Vikram skizzierte eine Momentaufnahme eines Wellenbündels auf ein Raumzeitdiagramm. »In seinem eigenen Referenzrahmen rotiert eine Elektronenphase in einem konstanten Rhythmus: etwa einmal alle zwanzig hoch minus zehn Sekunden. Bewegt es sich, verlangsamt sich dieser Rhythmus mit der Zeitdilatation, aber das ist nicht das ganze Bild.« Er zeichnete einige Komponenten, die sich von einem einzelnen Punkt auf der Welle in unterschiedlicher Geschwindigkeit fächerartig ausbreiteten, und markierte dann eine Reihe Punkte, wo diese Phasen sich jeweils wieder schlossen. Der geometrische Ort dieser Punkte bildete eine hyperbolische Wellenfront in der Raumzeit, ineinander gestapelten konischen Schüsseln nicht unähnlich – die bei größerer Geschwindigkeit der Komponenten dichter gepackt waren, was Zeit und Raum anging. »Der Rhythmus der ursprünglichen Welle wird nur von den Komponenten mit der richtigen Geschwindigkeit wiedergegeben; sie zeichnen zu späteren Zeitpunkten identische, fein säuberlich überlagerte Kopien der Welle auf. Komponenten mit der falschen Geschwindigkeit dagegen kriegen die Phasen nicht richtig hin, ihre Kopien fallen raus.« Er wiederholte die gesamte Konstruktion für hundert Punkte entlang der Welle, sie pflanzte sich sauber in die Zukunft fort. »In gekrümmter Raumzeit wird dieser ganze Prozeß verzerrt – aber mit den richtigen Symmetrien kann die Gestalt der Welle trotz geschrumpfter Wellenlänge und erhöhter Frequenz erhalten werden.« Zur Demonstration verdrehte Vikram das Diagramm. »Das ist unsere Situation.«
    Cordelia war ganz Auge und Ohr, machte sich Notizen, stellte Berechnungen an und überprüfte alles, bis ihr alles klar war. »Okay. Aber warum muß das zusammenbrechen? Warum können wir nicht einfach weiter blauverschoben werden?«
    Vikram zoomte in das Diagramm. »Phasenwechsel haben ihre Ursache letztendlich immer in Interaktionen – in Überschneidungen zweier Weltlinien. Im Kumarmodell weist jedes Weltliniennetzwerk ein endliches Muster auf. Bei jeder Überschneidung tritt nun ein winziger Phasenwechsel auf, bei dem die Zeit um dreiundvierzig hoch minus zehn Sekunden springt … und es macht keinen Sinn, von einem kleineren Phasenwechsel oder einer kürzeren Zeitskala zu sprechen. Versucht man also eine Welle gegen unendlich blau zu tönen, erreicht man einen Punkt, an dem das ganze System nicht mehr die Auflösung besitzt, um es weiterhin zu reproduzieren.« Als das Wellenbündel in einer Spirale hereinkam, begann es eine verschwommene, ausgefranste Annäherung an seine frühere Gestalt anzunehmen.
    Cordelia untersuchte das Diagramm sorgfältig. Dabei verfolgte sie einzelne Komponenten durch die letzten Stufen des Prozesses. Schließlich sagte sie: »Wie lange dauert es, bis wir die Beweise dafür sehen? Für den Fall, daß dieses Modell korrekt ist?«
    Vikram gab keine Antwort. Er schien sich nicht mehr so sicher zu sein, ob diese Vorführung klug gewesen war. Gisela ergriff das Wort: »In etwa zwei Stunden sollten wir in experimentellen Strahlen gequantelte Phasen entdecken können. Und dann dürfte es noch ungefähr eine Stunde dauern, bevor …« Vikram warf ihr einen bedeutungsschwangeren Blick zu – zwar hinter Cordelias Rücken, doch dieser schien nicht entgangen zu sein, warum der Satz nicht zu Ende gesprochen wurde, denn sie wandte sich ihm zu.
    »Was glauben Sie, werde ich nun tun?« fragte sie ungehalten. »Angesichts des ersten Aufschimmerns der Sterblichkeit hysterisch

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