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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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der Flüchtlinge nur eine Nacht am Ort bleiben durften.
    Bienmanns waren die Letzten gewesen, die ihren Fluchtweg durch das Dorf suchten. Erst waren die Bewohner von Stemnitz darüber erstaunt. Bald aber erfuhren sie den Grund. Die Abschüsse der Kanonen kündigten ihn an. Dann kam die sichere Nachricht, dass die russischen Panzer weiter westlich, wahrscheinlich noch hinter Neustettin, von der Mittelfront bis nach Kolberg zum Meer hin durchgestoßen waren. Bedrückt bereiteten sich Bäuerin und Mägde vor nun selber zu fliehen. Sie packten Kästen und Koffer und beschlossen Brot zu backen, solange dazu noch Zeit war. Vater half. Er zersägte einen ganzen Baumstamm. Viel Holz war nötig, um den großen Ziegelbackofen richtig zu heizen. Die Mägde mengten einen Teig aus einem halben Sack Mehl. Als sie die Brote geformt hatten, war auch die Hitze des Ofens gut. Die Bäuerin sah das an der weißlichen Färbung, die über die Ziegelsteine kroch. Nun wurde die helle Holzglut mit einer eisernen Harke aus dem Ofen gekratzt und die Teigstücke in die wabernde Hitze geschoben. Achtundzwanzig runde Brote, glänzend braun und schwer, konnte Vater nach fast zwei Stunden Backdauer aus der heißen Höhle ziehen und zum Auskühlen auf ein langes Brettergestell lagern.
    Die Bäuerin gab den Bienmanns sieben Brote ab. »Für jeden eins«, lachte sie dabei.
    »Wir sind doch sechs«, wunderte sich Albert.
    »Ja, Junge, noch seid ihr sechs. Doch hoffen wir alle, dass es sieben werden, bis die Brote aufgegessen sind.«
    Sie hofften vergebens. Am achten Tag erhielt das Dorf den Räumungsbefehl.
    Sie betteten Mutter weich. Lotter griff frisch aus. Die Ruhetage hatten ihm gut getan. Der Treck bestand nur aus ein paar Dutzend Wagen und kam schnell voran.
    »Jetzt fliehen wir nach Osten«, sagte Hedwig. »Vielleicht kommen wir wieder nach Leschinen?«
    »Nach Hause?« Vater winkte müde mit der Hand. Nach Hause! Er glaubte nicht mehr daran. In den ersten Tagen hatte er fest damit gerechnet, dass ihre Flucht nicht lange dauern würde. Aber nun, da die Russen beinahe ungehindert ins deutsche Herzland eindrangen, fand er bitter bestätigt, was Großvater schon vor Jahren gewusst hatte: Der Krieg war verloren.
    »Vater«, unterbrach Konrad seine Gedanken. »Lotters Eisen lockert sich.«
    »Ja, Konrad. Ich glaubte, es würde noch einige Tage halten. Wir werden im nächsten Dorf zum Schmied gehen.«
    Die Straße führte schnurgerade auf ein Dorf zu. Dort, wo die Bäume in der Ferne nur noch einen schmalen Spalt ließen, stach ein spitzer Kirchturm in den Himmel.
    »Schnell, weiter!«, schrie am Dorfeingang ein älterer Mann, der über seine Anzugsjacke ein Koppel geschnallt hatte und unbeholfen mit einem Sturmgewehr hantierte.
    »Ich muss mit dem Pferd zum Schmied«, antwortete Vater.
    Der Mann besah sich Lotters Huf und willigte ein. »Das Dorf wird auch bald geräumt. Aber versuchen kannst du es ja.«
    »Ihr bleibt hier. Ich bin bald wieder zurück!«, sagte Vater. Die Dorfstraße lag leer. Um den kleinen Marktplatz standen Linden. Die Zweige hatten sich bei der warmen Sonne mit einem Schimmer von Grün überzogen. Überall wurde gepackt. Aus der Schmiede klangen noch hell die Hammerschläge. Das Holztor stand weit auf. Die Esse glühte.
    Der Schmied, ein starker, kahlköpfiger Mann, erwiderte Vaters Gruß nicht. Stattdessen begann er gleich zu schimpfen: »Keinen Hammerschlag mache ich mehr für euch fremdes Volk. Was habe ich davon?«
    Vater verlegte sich aufs Bitten. »Ich habe Eisen und Nägel bei mir«, sagte er. »Sie brauchen das Pferd nur zu beschlagen.« Doch er bat in taube Ohren.
    »Was sollen wir denn tun?«, rief Vater ratlos.
    »Zuerst verlassen Sie jetzt meine Werkstatt«, antwortete der Kahlkopf hart und wies Vater mit dem Finger die Tür.
    Müde band Vater Lotter los.
    Eine Gruppe Soldaten marschierte über die Straße. Ihre Stiefel knallten auf das Pflaster des Platzes. In ihrer Mitte führten sie sechs Männer ohne Uniform. Unter den Linden ertönte das Kommando: »Abteilung halt!«
    Vater wurde aufmerksam. Die Soldaten warfen Stricke über die unteren Äste, sechs dicke, neue Stricke. Der Schmied trat aus dem Tor. Während Vater das Grausen ankam, lachte der Kahlkopf laut. »Ah, Plünderer. Ausländisches Pack. Aufgeknüpft werden sie.«
    Vater wandte sich ab und führte Lotter am Halfter. Bevor er den Markt verließ, drehte er sich noch einmal um. Da wiegte der Wind die sechs Männer über der Erde. »Ausländisches Pack«,

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