Das Jahr der Woelfe
irgendwie hinge das Abbröckeln des Brotes mit der Not zusammen, in der sie sich befanden.
»Wir laufen bis zur Straßenbiegung dort am Waldrand«, keuchte Hedwig. »Sehen wir sie nicht, dann müssen wir zurück.«
»Fuhr der Zweispänner dort nicht hinter uns?«, fragte Albert unsicher. Er glaubte die grünliche Emaillebadewanne wieder zu erkennen, die unter dem Wagen baumelte.
»Habt ihr die Bienmanns nicht gesehen?«, rief er hinein.
»Wo sollen sie denn sein?«, fragte die Frau, die die Pferde lenkte.
»Wir wissen nicht, ob sie an der Gabelung links oder rechts eingebogen sind. Wir haben Brot geholt.«
»Als wir vorbeifuhren, war links die Straße ganz gesperrt«, gab die Frau Auskunft.
»Ich glaube«, sagte Albert voller Hoffnung, »der Karren mit den Rappen war auch hinter uns.«
Hedwig erkannte keinen der Wagen wieder. Sie durchliefen die Biegung und starrten die ganze Wagenreihe entlang.
»Dort, dort sind sie«, schrie Albert außer Atem und deutete nach vorn. Weit vor ihnen, wo die Baumreihen zueinander rückten, schwankte der Wagen mit dem grauen Verdeck, ihr Wagen.
Die Freude gab ihnen neue Kraft. Bald hatten sie das Fuhrwerk eingeholt. Die Luft jagte ihnen durch die Lungen. Albert schmerzte die Brust, als ob er einen heißen Stein darin trüge. Erst nach einer Weile vermochten sie von ihrer Not zu erzählen. Vater wurde schweigsam und sprach kein einziges Wort.
Wieder kam eine Weggabelung in Sicht. Der Treck wurde von einem Gefreiten auf den rechten Weg gelenkt. Auf dem Wegweiser der gesperrten Straße stand: Schlawe über Stemnitz.
Mutter redete leise auf Vater ein. Da scherte er aus und sprach mit dem Feldgrauen.
»Aber ich bitte Sie«, hörte Konrad, »meiner Frau geht es schlecht. Sie kann nicht mehr fahren. Wir müssen sehen, dass wir ein Haus finden. Wir können doch nicht auf der Straße das Kind zur Welt kommen lassen.«
Er habe seine Befehle, versuchte der Gefreite sich zu rechtfertigen. Da stieg die Mutter vom Wagen und setzte sich auf einen Wegstein. Endlich gab der Soldat nach. Allein fuhren Bienmanns jetzt. Sie hatten den Treck verlassen. Vater kutschierte vorsichtig. Eine Stunde später erreichten sie das Dorf Stemnitz.
»Bürgermeisterei«, stand an einem der ersten Häuser. Vater kletterte vom Bock.
Da trat ein dicklicher Bauer aus der Toreinfahrt des Gehöftes. »Guten Tag«, grüßte er.
Bienmanns waren überrascht. Zum ersten Mal seit ihrer Flucht begegnete ihnen ein Fremder freundlich.
»Sind Sie heute die Einzigen?«, fragte der Bauer.
»Jawohl. Alle anderen fahren weiter nordwärts.« Vater trat zu ihm und erklärte ihm, warum sie allein die Erlaubnis erhalten hatten, auf diesem Weg zu fahren.
»Ich werde Ihnen einen Quartierschein geben«, sagte der Bürgermeister. Nach kurzer Zeit bogen sie durch die dunkle Toreinfahrt eines pommerschen Gehöfts in den Innenhof des Bauernhofes ein, den der Bürgermeister ihnen angewiesen hatte. Die Nachricht ihrer Ankunft war schneller gewesen. Eine blonde, frische Frau kam ihnen entgegen.
»Kommen Sie erst in die Stube«, sagte sie, als sie merkte, dass Vater Lotter abschirren wollte. »Ihr Pferd wird von Ludwig, unserem alten Knecht, versorgt.«
Die Stube blinkte hell und sauber. Die Frau wärmte Milch für sie und schnitt von einem riesigen runden Brot große Scheiben. Butter gab es dazu und Erdbeermarmelade. Zwei Mägde waren auch in die Stube getreten. Eine hatte Hedwig den kleinen Bruder abgenommen und fütterte ihn.
»Für Sie ist das Bett schon bezogen«, sagte die Bäuerin zur Mutter.
»Ein Bett!« Mutter atmete auf. »Aber, bitte, wenn Sie ein wenig warmes Wasser hätten zum Waschen«, bat sie und traute sich nicht, die Augen zu heben. Im Treck hatten sie es hingenommen, dass sie dreckig waren und verlaust. Alle waren so. Aber hier unter den reinlichen Menschen schämten sie sich.
Die Bäuerin gab nicht nur ein wenig Wasser, sondern ließ den Zuber dreimal voll gießen. Nach zwölf Tagen konnten sich Eltern und Kinder endlich wieder waschen. Die Köpfe rieb die Bäuerin den Kindern mit einem weißen Pulver ein. Doch das merkten Franz und Albert schon nicht mehr. Sie waren bereits fest eingeschlafen, als sie in das breite Bett gelegt wurden.
24
Die Schmerzen der Mutter ließen nicht nach. Zweimal hatte die Hebamme nach ihr gesehen. Das Kind wollte nicht zur Welt kommen. Die Freundlichkeit der Leute blieb beständig. Die Bäuerin selbst bat den Bürgermeister es mit der Vorschrift nicht so genau zu nehmen, nach
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