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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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hatte der Schmied gesagt. Er musste an den gefangenen Russen Wassily denken, der beim Krammüller auf dem größten Hof im Nachbarort gearbeitet hatte. Nicht einmal eine Zudecke hatte der Krammüller ihm für den Winter gegeben. »Ausländisches Pack«, das war jedes zweite Wort des Bauern gewesen, wenn er von seinem Gesinde sprach. Vielleicht hatten diese Männer sich nur das geholt, was ihnen harte Herzen zu Unrecht verweigert hatten.
    »So schnell hat er das Pferd beschlagen?«, wunderte Mutter sich.
    »Nichts hat er getan.« Vater sprach laut und bitter. »Für fremdes Pack rührt er keinen Finger.« Aus der Schule trat eine Rotkreuzschwester: »Ihr hättet ihm etwas anbieten sollen, Bauer. Eine Uhr oder einen Ring. Wir kennen unseren Schmied. Wenn er Gold sieht, dann kann er nicht Nein sagen. Gold macht ihn mild und andächtig.«
    Konrad griff nach seiner kleinen Uhr. »Eine Uhr!« Er nahm Großvaters Geschenk in die Faust. Die gebe ich niemals her, dachte er, niemals.
    Mutter tastete unter ihrem Kleid am Hals und löste den schmalen Verschluss der dünnen Goldkette mit dem Kreuzchen.
    »Da, Johannes, gib ihm das.«
    »Es ist der einzige Schmuck, den ich dir je schenken konnte, Agnes.«
    Sie antwortete nicht. Das Kreuz baumelte zwischen Mutters Fingern an der Kette. Wie die Männer an den Bäumen, musste Vater denken. Er nahm den Schmuck. Es dauerte nur eine knappe Stunde, bis er mit Lotter wiederkehrte. Kein Eisen klapperte mehr. Sie konnten weiter.
    »Wohin sollen wir eigentlich noch fliehen?«, fragte Vater den SS-Mann, der neben der Schwester in der Tür stand.
    »Wohin, Bauer? Sie stellen dumme Fragen. Weiter geht es. Weiter. Wohin? Das ist doch ganz gleich. Nur weiter.«
    So vorsichtig Vater auch kutschieren mochte, er sah es Mutter an, dass ihre Schmerzen wiederkehrten. Die Nacht brach herein. Eine lange Nacht ohne Haus und Herd. Im frühen Licht kamen sie wieder an ein Dorf. Starkow. Der Ort war voll gestopft mit Flüchtlingen. Vater lief von einem Gehöft zum anderen. Schon in den Fluren stolperte er über Menschen.
    »Platz?« Sie lachten und schimpften.
    Vater ließ sich nicht entmutigen. Er stieß eine Tür auf.
    »Ist hier ein Platz? Wenigstens für meine Frau?«
    »Alles besetzt. Schließ die Tür«, maulten schlaftrunkene Stimmen.
    »He, bist du es, Onkel Johannes?«
    »Ja«, antwortete Vater. »Johannes Bienmann aus Leschinen.«
    Er versuchte im Halbdunkel zu erkennen, wer ihn mit Namen gerufen hatte. Eine Gestalt stelzte über die Schläfer. Ein Mann. Er hatte nur einen Arm.
    »Hubertus!«, rief Vater.
    »Ruhe, zum Teufel! Ruhe!«, keifte eine junge Frau.
    Hubertus, Vaters Neffe, trat mit ihm in den von Gebäuden umschlossenen Hof. Er schüttelte Vater lange die Hand.
    »Was ist mit dir, Onkel Johannes?«
    Vater erzählte von Mutter Schmerzen. Hubertus kaute auf einem Strohhalm.
    »Es ist ein ganzes Zimmer im Haus frei«, sagte er leise. »Da haben SS-Leute ihre Sachen untergebracht. Der Bauer hat Angst. Er will dort niemand hineinlassen.«
    »Was kann ihm schon geschehen? Wenn die SS es will, können wir das Zimmer wieder räumen, sobald die Männer zurückkommen.«
    »Der Bauer ist alt und ängstlich. Ich werde mit ihm reden.« Hubertus verschwand. Es dauerte Vater viel zu lange. Doch endlich trat der Neffe wieder in die Tür und winkte. Vater lief und führte das Gespann in den Hof. Im Stall war kein Platz mehr für Lotter. Er band ihn an einen Eisenring, der in der Wand festgemauert war. Der Hofhund kläffte ein paar Mal.
    Vater führte Mutter durch den Flur. Hubertus stieß die Tür eines Zimmers weit auf. Ein gepolstertes, langes Sofa gab es sogar in dieser guten Stube. Darauf betteten sie Mutter. Die Kinder wickelten sich in Decken und legten sich auf den Teppich.
    »Hast du noch Platz auf deinem Wagen, Onkel?« fragte Hubertus. Er hob nicht den Blick vom Boden.
    »Ja, Neffe. Aber was ist mit eurem Gespann?«
    »Versunken im Haff, Onkel. Wir wollten, wie verabredet, zu Tante Katharina, genau wir ihr. Feldjäger haben uns den Weg versperrt. Wir mussten weiter. In der nächsten Nacht fuhren wir aufs Eis. Die Strecke war schlecht abgesteckt. Plötzlich brachen wir ein. Erst die hinteren Räder, weißt du. Ganz langsam. Ich sprang zu den Pferden und schrie zu einem Zug Soldaten hinüber, sie möchten doch anfassen und helfen. Doch unsere Not kümmerte sie nicht. Sie zogen weiter. Als das Eis unter den Vorderrädern brach, sprang Maurice ab und reichte Tante Elisabeth die Hand. Doch da

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