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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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schon in die Kette einreihen können.
    »He, Otto«, rief er plötzlich und wandte sich zur Mutter zurück: »Da ist dein Vetter Otto Regnitz.«
    Der Mann winkte herüber. Vater trieb Lotter an und lenkte das Gespann neben das des Vetters.
    »Otto«, bat er, »fahr ein wenig langsamer, damit ich vor dir in die Reihe einbiegen kann. Ich komm nicht hinein.«
    Doch Otto Regnitz wollte ihn nicht verstehen und hielt sich dicht hinter dem Vorderwagen.
    »Otto«, sagte die Mutter, »wir kommen nicht in die Reihe. Niemand lässt uns hinein!«
    Ihr Vetter winkte ärgerlich mit der Hand ab und blickte nicht mehr zur Seite. Ein Lastwagen hupte hinter ihnen und überholte sie. Die Räder streiften den Wagen.
    »He, Bauer, mach dich nicht so breit!«, schimpfte der Fahrer und drohte mit der Faust.
    Da rief ein Mädchen, ein Kind fast noch: »Warte, Mann, ich fahr langsamer. Ich lass dich hinein.«
    Sie zügelte zwei magere, schmalrückige Rappen. Eine Lücke tat sich auf. Vater bog ein. Er schob die Mütze hoch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ein bitteres Lächeln lag um seinen Mund.
    »Ist der Vetter ein Wolf?«, fragte Albert.
    »Ja, Kind. Ein reißender Wolf«, bestätigte die Mutter so laut, dass es bis zu den Nachbarwagen drang. Der Vetter sah sich nicht einmal um.
    Ohne Aufenthalt ging es weiter. Die Dunkelheit brach herein.
    »Ich habe arge Schmerzen, Johannes«, klagte Mutter leise.
    Vater entschloss sich, im nächsten Dorf Rast zu machen. Sie erreichten es gegen zehn Uhr. Links und rechts der Straße hatten Flüchtende ihre Wagen abgestellt. Nur durch die schmale Mitte kroch der Treck. Hinter ihnen hupten Autos, Flüche wurden in die Nacht geschrien. Plötzlich stockte der Zug. Die Dorfstraße war zugestopft mit Wagen, Autos und Pferden. SS drängte sich zu Fuß an den Fuhrwerken vorbei. Befehle gellten und wurden nicht ausgeführt. Vom Wagen vor ihnen klangen Stimmen herüber.
    »Es hört sich an, als ob Szakawski, der Briefträger, dabei wäre«, wunderte sich Vater und lauschte. Lauter sprachen die Männer.
    »Und den alten Rübsam höre ich auch«, flüsterte Konrad.
    »Halt die Zügel«, rief Vater, sprang vom Bock und drängte sich nach vorn. Die Nacht war wie schwarze Tinte. Er tastete sich an der Leiter des Wagens entlang bis an den Bock. Das Einzige, was er erkennen konnte, waren ein paar dunkle Schatten.
    »He, Szakawski, he, Rübsam!«
    »Ja, das ist ja der …«, rief Szakawski. Doch Rübsam wollte es erraten.
    »Es ist der Grumbach aus Liebenberg.« Seine Stimme klang überzeugt und sicher.
    Vater lachte und Szakawski stimmte mit seinem piepsigen Gekicher ein.
    »Der Bienmann Johannes ist es«, rief er, »der Bienmann aus Leschinen.«
    »Der Bienmann?« Rübsams Stimme klang enttäuscht. »Na, von mir aus der Bienmann.«
    Doch dann fiel ihm etwas ein: »Weißt du schon von dem Artillerietreffer?«
    »Was?« Vater fürchtete sich vor der neuen Nachricht.
    »Nun, deine Schwiegereltern«, begann Szakawski.
    »Sprich leise«, zischelte Vater.
    »Dein Schwiegervater stand auf seinem Fuhrwerk auf dem Eis und musste den Treck vorbeilassen, der die mittlere Spur fuhr. Plötzlich haben die Russen geschossen. Nur eine einzige Salve. Sie schlug mitten auf die Kreuzung ein. Den Wagen deines Schwiegervaters riss eine Granate auseinander.«
    Vater dachte an den kleinen gebeugten Mann, der mit siebzig noch jeden Werktag in Feld und Hof bis in die Dunkelheit hinein gearbeitet hatte. Er erinnerte sich ganz deutlich an die Stimme seiner Schwiegermutter, als sie ihm am Hochzeitstag sagte: »Johannes, denk immer daran, dass deine Frau einem schönen, irdenen Krug gleicht. Er ist stark und zerbrechlich zugleich. Sei gut zu ihr.«
    Geschrei vorn im Treck wurde laut. »Es geht los.«
    »Also, dann weiter. Und auf Wiedersehen!«, sagte Vater.
    Die Hände der Nachbarn fanden sich trotz der Finsternis.
    »Na, wer war dort?«, wollte Hedwig wissen.
    »Ich traf zwei Familien aus unserem Kirchspiel und sprach mit Szakawski und Rübsam. Ihre Stimmen hörte ich, wisst ihr. Aber gesehen, gesehen habe ich sie nicht.«
    Das Wagenknäuel entwirrte sich allmählich. Es ging weiter. Das Morgenlicht stand hinter den Wäldern. Mutter saß zusammengekauert auf der Kiste. Ihr Gesicht spiegelte ihre Schmerzen. Konrad traute sich kaum, zu ihr hinzusehen. Ihre Augen schienen größer als sonst und fast schwarz. Fest hielt sie die Lippen aufeinander gepresst. Kein Stöhnen, keine Klage schlüpfte ihr über die Zunge.
    »Fahr eine kurze

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