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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Strecke langsamer, Johannes«, bat Mutter mit gepresster Stimme. »Ich will absteigen und eine Weile nebenherlaufen.« Vater zügelte Lotter. Vorsichtig kletterte sie vom Wagen. Kaum war sie jedoch zehn Minuten am Wegrand gegangen, da trabten die Pferde.
    »Vater«, ängstigte sich Konrad. »Mutter schafft es nicht so schnell.«
    Vater beugte sich zu ihr und tröstete sie: »Wenn wir auch ein Stückchen vorwegfahren, du holst uns ja wieder ein.«
    Mutter nickte. Später blickte sich Konrad nach ihr um. Die Straße bog nach Norden ab.
    »Ich kann Mutter nicht mehr sehen, Vater.«
    Vater versuchte zu bremsen. »Was ist?«, schrie es von hinten her. Vater deutete mit dem Daumen zurück und antwortete: »Meine Frau!«
    Doch das schien für keinen der Flüchtlinge hinter ihnen ein Grund zu sein, langsamer zu fahren.
    »Schließ die Lücke«, schimpften sie. »Dräng ihn doch zur Seite!«, forderten einige laut.
    Die Straße war schmal. Rechts trennte ein Graben sie vom Wald. Gegenüber streckte sich ein schlammiger Acker. Zur Seite fahren war unmöglich. Es blieb Vater nichts übrig, als das Pferd zu treiben, wenn er nicht mit dem Fuhrwerk in den Graben stürzen oder im schlammigen Acker einsinken wollte.
    »So weit ging es noch niemals im Trab«, jammerte Hedwig.
    »Konrad muss der Mutter helfen«, entschloss sich Vater. Sorge stand ihm im Gesicht. Konrad sprang ab. Bis an die Knöchel sank er in den Schlamm. Er lief weit zurück, bis er Mutter traf. Sie war abgehetzt und verschwitzt und legte dankbar den Arm über Konrads Schulter.
    »Es fällt mir schwer heute«, keuchte sie.
    Endlich stockte der Zug. Sie sahen das graue Verdeck ihres Wagens und holten ihn erschöpft ein. Mutter sank auf ihren Platz, kurzatmig und mit rotem Gesicht. Sorglich hüllte Vater sie in eine Decke. Er neigte sich zu ihr und sie flüsterte ihm ein paar Worte zu.
    »Dort gibt es etwas zu essen!«, rief Hedwig.
    Am Rande eines großen Feldes vor einer Feldscheune stand eine Menschenschlange.
    »Brot«, flüsterte das Gerücht.
    »Hedwig, Albert, lauft zu und stellt euch an. Sobald ihr Brot bekommen habt, nehmt ihr die Beine in die Hände, folgt dem Zug und holt uns ein.«
    »Brot haben«, flennte Franz. Aber noch hatten sie nicht einmal eine Kruste.
    Die Geschwister liefen vor und stellten sich an das Ende der Schlange. Das Fuhrwerk fuhr langsam vorbei.
    »Gibt es wirklich Brot?«, rief Konrad durch die hohle Hand.
    »Ja, Brot!«, schallte es zurück.
    »Brot«, flüsterte Konrad leise. Es kam ihm in den Sinn, welch einen anderen Klang das Wort in den langen Tagen der Flucht erhalten hatte. Konrad hatte stets gleichgültig gesehen, wenn seine Mutter in jedes Brot ein Kreuz ritzte, bevor sie es anschnitt. »Darum also«, murmelte er und sprach noch einmal halblaut: »Brot.«
    An einer Weggabelung standen zwei Feldjäger und sperrten die Straße nach Südwesten. Achtlos fuhren sie vorüber. Weder Vater noch Mutter noch Konrad ahnten, dass die Feldjäger wenig Dutzend Wagen hinter ihnen den Zug zu teilen begannen, je zwei Wagen nach rechts, je zwei nach links.
    Hedwig und Albert hatten vier Brote bekommen, braun, knusprig, warm.
    »Nichts abbröckeln, Albert«, tadelte die Schwester. »Denk an die anderen. Die warten auch auf Brot.«
    Der Geruch des frischen Brotes stieg Albert so lockend in die Nase, dass er zuweilen ein wenig hinter der Schwester zurückblieb, ein Bröckchen abbrach und in den Mund steckte.
    Sie kamen an die Gabelung. Gerade lenkten die Feldjäger die Gespanne nach Südwesten.
    »Halt, Albert«, rief Hedwig dem Bruder zu. Sie trat zu den Soldaten. »Wir suchen Bienmanns Fuhrwerk aus Leschinen.«
    Der Feldjäger lachte. »Kind, woher soll ich Bienmanns Fuhrwerk kennen?«
    Hedwig erschrak. »Es ist ein Einspänner mit einem braunen Hengst davor.«
    »Geh aus dem Weg!«, antwortete der Feldjäger ungehalten und lenkte zwei weitere Fahrzeuge nach Westen.
    Er blickte sich einen Augenblick um und sah die Kinder ratlos am Wegrand stehen, Tränen und Furcht in den Augen. Er fragte die Vorüberfahrenden: »Kennt ihr Bienmanns aus Leschinen?« Achselzucken war die Antwort. Da gab er den Kindern den Rat: »Lauft schnell diese westliche Straße entlang. Findet ihr sie nicht, dann kehrt ihr hierher zurück.«
    Sie rannten los. Angst trieb sie. Albert bekam Seitenstechen und musste sich bücken: »Lieber Gott«, betete er, »bitte lass uns die Eltern wieder finden. Ich verspreche dir, ich will nie mehr vom Brot naschen.« Er glaubte wohl,

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