Das Jahr der Woelfe
gebrochenem Deutsch auf, vom Wagen zu springen.
»Ich habe das Gespann eben von einem russischen Soldaten erhalten!«, rief Vater.
Doch der Pole fauchte und schimpfte: »Runter vom Wagen!« und gab Vater einen Stoß in die Seite, dass er schleunigst absprang.
Er legte die Hände um den Mund und schrie zu den Soldaten hinüber: »Sie nehmen mir den Wagen, hallo! Hallo!«
Da rannte der Russe herbei, bedrohte die Polen mit seiner Pistole und redete auf sie ein. In ihren Augen blitzten Enttäuschung und Wut auf. Sie duckten sich und schlichen davon.
Vater bedankte sich und schenkte dem Russen eine Schachtel Zigaretten. Dann fuhr er weiter. Doch kaum war er vor dem Gehöft angelangt, da traten die Polen ihm wieder in den Weg. Der Schwarzhaarige trug einen Karabiner. Er sagte nichts, trat an das Gespann, bohrte Vater den Lauf in die Rippen und stieß ihn in den Straßenschmutz. Flink sprangen die Polen auf den Wagen und trieben die Pferde in einen schnellen Trab. Vater hatte sich noch nicht einmal aufgerappelt, da bogen sie bereits um die Ecke und waren verschwunden.
»Zwei Gespanne an einem Tag verlieren, das ist selbst für den, der nur eins besitzt, ein wenig viel«, knurrte Vater mit Galgenhumor und trat in das Haus.
26
Mit der Sonne zogen auch die Kampftruppen weiter. Die Nacht war unruhig. Panzerketten ließen die Scheiben erzittern. Befehle hallten, Waffen klirrten. Gegen zwei Uhr fielen Schüsse, und Lärm und Grölen schallten vom Dorfkrug herüber. Am Morgen erst trat Stille ein.
Hier und dort trauten sich die Menschen aus ihren Häusern. Erste Berichte eilten von Haus zu Haus. Beim Bauern Vichweg waren vier Tote. Erschossen. Die Magd erzählte, der Bauer habe den Soldaten den Eintritt in die Stube wehren wollen. Wild hätten sie da um sich geschossen. Über die Frauen seien sie hergefallen, über alte und junge. Kaum 13 sei die Tochter des Bauern. Sie sitze nun verstört in einer Ecke und rede kein Wort. Das ganze Haus sei auf den Kopf gestellt worden. Schlimmer als bei den Schweinen sehe es in der Stube aus. Bei Dörten waren zwei Rinder abgestochen worden, doch nur die besten Streifen hatten die Soldaten herausgeschnitten.
»Alles in allem«, gab selbst Vater zu, »sind wir noch gut weggekommen.«
Der Schrecken war vorübergegangen. Doch er kehrte siebenmal stärker wieder ein, als die Besatzungstruppen am nächsten Tag kamen. Sie raubten und plünderten, nahmen sich, was ihnen gefiel, zerschlugen, was sie ärgerte, wühlten nach verborgenen Schätzen, tobten, schossen, schlugen, quälten die Frauen und verschleppten Männer.
Sie trieben es so schlimm, dass Vater sich endlich von Mutter bereden ließ und sich mit Hubertus auf dem Schober hinter Heu und Stroh versteckte. Eine Höhle vor dem Brettergiebel bot Sicherheit. Durch eine Ritze konnten die Männer den Hof überblicken. Nachts kam Alma heimlich, brachte warme Nahrung und blieb bis zum Morgen; denn in den Nächten war es besonders gefährlich.
Das kleine Kind, das immer noch auf sich warten ließ, erwies sich, ungeboren, als der stärkste Schutz für Haus und Hof und Mutter. Viele Soldaten waren wie umgewandelt, wenn sie von dem Kind erfuhren. Einer kramte am zweiten Abend sogar kleine Fotos heraus, zeigte seine Frau und seine drei Kinder, und Tränen glitzerten in seinen wasserhellen Augen. »Weit, weit!«, murmelte er.
Am dritten Tag schien ein wenig Ordnung in das Dorf zu kommen. Der Ortskommandant, ein kleiner, giftiger Georgier, stellte zwei Fuhrwerke und Frauengruppen zusammen. Sie mussten unter Bewachung zur sieben Kilometer weit entfernten Grube fahren, um dort feinen, weißen Sand zu holen. Inzwischen säuberte eine andere Gruppe von etwa dreißig Frauen die Straße auf sein Geheiß. Mit langen Reisigbesen fegten sie leere Konservendosen, Bettfedern, überfahrene Hühner, zerschlagenes Porzellan, kurz alles zusammen, was in diesen Tagen aus den Häusern geworfen worden war. Dann kam der Befehl, dass nun die Straßen säuberlich mit dem weißen Sand zu streuen seien. Die Frauen lachten ein wenig. Der Kommandant schimpfte: »Nix Kultura!«
Die Besatzung schien sich für längere Zeit einzurichten. Alma berichtete den Männern, dass die Russen drei Häuser bezogen hätten und wie sie die Kultur pflegten.
»Wir können uns nicht ewig hier versteckt halten«, sagte Vater. »Wir werden morgen herauskommen.«
»Was werden sie mit euch anfangen?«, jammerte Alma. Hubertus tröstete sie: »Vielleicht lassen sie uns in Frieden. Doch wenn
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