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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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kannst gehen. Warte, ich schreib dir einen Passierschein.«
    Eine halbe Stunde später klopfte Vater bei der Hebamme. Doch sie wollte nicht mit. Als Vater ihr das Papier mit der russischen Schrift und dem Stempel zeigte, willigte sie schließlich ein. Doch er musste versprechen sie wieder zurückzubringen. Ungehindert kamen sie nach Starkow. Mutter hatte weniger Schmerzen und die Frau meinte, ein paar Tage könnte es wohl noch dauern.
    Zur Abendfütterung war Vater wieder im Stall. Dem Apfelschimmel schien es ein wenig besser zu gehen. Er fraß von der Kleie und knabberte am Heu.
    Am nächsten Morgen jedoch empfing ihn der Korporal gleich: »Dein Gaul steht vor der Grube. Kolik.«
    Vater rannte durch den Stall. Das Pferd hatte einen dicken Leib und atmete kurz. Es stand dort, wo vor Tagen die Rappstute zusammengebrochen war. Der Korporal folgte und hatte den Revolver schon in der Hand.
    »Konrad«, sagte der Vater. »Führ das Pferd am Halfter über die Wiese. Nicht zu langsam.«
    Konrad zog den Apfelschimmel hinter sich her. Der Korporal grinste und schlug mit der Hand geringschätzig in den Wind. Sobald Vater Zeit hatte, löste er Konrad ab. Stunde um Stunde lief das Pferd, rundum. Im Gras stampfte sich ein Pfad ein. Am Abend war der Leib noch ebenso geschwollen wie am Morgen. Aber er war nicht dicker geworden. Hubertus, der in der Frühe Vater insgeheim für einen Narren gehalten hatte, erklärte sich nun bereit, das Pferd bis Mitternacht zu bewegen.
    »Dann kommen wir wieder«, sagte Konrad, der vom Laufen todmüde war.
    Als Hubertus gegen sieben Uhr am frühen Morgen wiederkehrte, war das Wunder geschehen: Der Apfelschimmel war munter, die Schwellung war verschwunden. Vater gab ihm trockenes Futter. Er fraß begierig. Da schlug der Korporal Vater auf die Schulter und brüllte: »Donnerwetter!« Und das war ein großes Lob.
    Pferde wurden in den nächsten Tagen geholt und Klepper gebracht. Vierzehn Tage ging es schon so. Die Russen setzten ihre Kulturarbeit fort, waren heute gutmütig und spielten mit den Kindern, morgen zornig und voller Heimweh.
    Gründonnerstag gegen sechs Uhr klopfte es an die Tür und ein fremder Mann trat ein. Er war in Lumpen gekleidet. Den rechten Schuh hatte er mit Draht umwickelt. Er sagte: »Grüß Gott.« Ohne auf Antwort zu warten, fuhr er fort: »Es gibt hier Katholiken. Wollt ihr die Sakramente empfangen?«
    »Ein Priester«, sagte Mutter froh, »ein Priester.«
    In den Nachbarhäusern lud Konrad die Katholiken zur Messfeier ein. Ein Pfarrer sei da. Im Kuhstall hörte der Pfarrer die Beichte, während Hedwig am Tor stand und Acht gab, ob sich ein Soldat näherte. Im Schober hatte Vater einen Tisch mit einem weißen Tuch gedeckt und in die Hälse zweier Sprudelwasserflaschen kleine Kerzen gesteckt, die Alma bereitwillig gegeben hatte. Ein Sterbekreuz brachte eine alte Bäuerin mit. Weil am Gründonnerstag noch alle Kreuze verhängt sind, band Vater ein Tuch darüber.
    Konrad hatte am Tag zuvor in der Wiese hinterm Haus ein paar lilafarbene Krokusse entdeckt. Er grub sie sorgsam mit der Zwiebel aus und pflanzte sie in kleine Konservendosen.
    Die Messe begann. »Der Herr sei uns gnädig und segne uns. Er lasse sein Angesicht über uns leuchten«, betete der Pfarrer zum Eingang. Alma hielt Wache. Sie hatte sich angeboten und gesagt, sie sei, wie alle im Ort, evangelisch, wolle aber diesen Dienst gern übernehmen.
    »Die Rechte des Herrn wirket Wunder. Ich sterbe nicht, ich werde leben«, klang es leise vom Altar her. Lange hielt der Pfarrer bei der Wandlung die Hostie hoch und den Kelch, einen verbeulten kleinen Pokal, wohl ehemals ein Ehrenpreis für einen guten Schützen. Kein Lied sangen sie, kein Gebet wagten sie laut zu sprechen. Nach dem letzten Gebet versteckte Vater Kreuz und Kerzen. Die Leute setzten sich im Kreis in das Stroh und der Pfarrer schlug das Kreuz und begann die Predigt.
    »Eine bittere Karwoche sind für uns alle diese Tage des Leidens und der Prüfung. Tränen wurden gesät, Gewalt herrscht schlimmer als zuvor, das Volk wird gegeißelt, verspottet, ins Gesicht geschlagen, getreten, angespien und getötet. Darin gleicht es dem Herrn. Doch trafen ihn Drangsal und Gewalt, Marter und Todesnot ohne Schuld. Schlugen wir ihn nicht durch unsere Sünden, geißelten wir ihn nicht mit der Feigheit unseres Schweigens, krönten wir ihn nicht mit den spitzen Dornen der Menschenfurcht, schlugen wir ihn nicht mit ans Kreuz und trieben die Schmiedenägel der Mitschuld durch seine

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