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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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zögernd.
    »Reize ihn nicht und komm zurück«, hauchte Mutter.
    Der Russe schritt auf die Ställe zu. Der Hund bellte wütend und riss an der Kette. Ärgerlich zog der Soldat die Pistole. Drei Schüsse feuerte er auf den Hund. Der jaulte auf und schwieg dann. Ohne Umschweife stieß der Soldat die Tür zu den Ställen auf und trat an die Boxen. Sein Blick verriet, dass er etwas von Pferden verstand. Ein paar Sekunden dauerte die Prüfung nur. Dann zeigte er auf Lotter: »Anspannen.«
    Vater fuhr ein Stich durch die Brust. »Mein Pferd«, versuchte er einzuwenden. »Bitte, mein Pferd!« Doch der Soldat löste die Kette, schlug Lotter mit der flachen Hand auf den Hals und brummte zufrieden: »Pferd gut, sehr gut.«
    Willig ließ Lotter sich in den Hof führen. Der Soldat brachte ihn bis vor den einzigen Einspänner im Hof, bis vor Bienmanns Wagen.
    »Anspannen, bistra, bistra, schnell, schnell!«
    Vater stand mit hängenden Armen. Er versuchte noch einmal, den Russen umzustimmen, und lief hinter ihm her.
    »Es ist mein einziges Pferd, mein einziger Wagen. Wie sollen wir weiterkommen? Meine Frau ist doch krank.«
    Vater zeigte zum Wohnhaus hinüber und schlug vor Jammer und Furcht die Hände ineinander.
    »Dein?«
    »Ja.«
    »Du Kapitalist!«
    Dann zog er eine feine, goldene Uhr aus der Hosentasche. Die Zeit mochte stimmen. Sie zeigte zehn Minuten nach vier. Der Russe tippte mit seinem kurzen, dicken Finger auf die Drei. »Wenn so, dann Wagen leer.«
    Vater sah, dass er sich fügen musste. Er sprang auf den Wagen und begann alles abzuwerfen. Hubertus trat heraus.
    »In fünf Minuten will er fahren«, rief Vater aufgeregt.
    Der Neffe half. Immer wieder versuchte Vater den Soldaten zu bewegen diesen Wagen und dieses Pferd nicht zu nehmen. Doch der hatte sich auf die Bank gesetzt, drehte die Pistole am Abzugsbügel um seinen Finger und antwortete geduldig, aber fest: »Pferd gut, sehr gut!«
    Vater jedoch gab sich nicht zufrieden und drang weiter in ihn und klammerte sich an die Hoffnung, der Mann möchte sich erbarmen. Fast hatten sie den Kasten geräumt und wild türmten sich Kisten und Betten im Hof, da trat Mutter hinzu. Vater sprang ab und bat den Soldaten wieder eindringlich. Er schien außer sich.
    »Johannes«, sagte Mutter fest, »Johannes, reiz ihn nicht. Lass ihm das Gespann, ich bitte dich, bleib ruhig.«
    Der Soldat schien sich zu besinnen. Er stand auf, schritt auf Vater zu, der gerade den letzten Strang von Lotters Geschirr einklinkte, und rief: »Du mit!« und zeigte mit der Hand zur offenen Einfahrt hinaus.
    Mutter musste sich an der Mauer halten, so erschrak sie. Der Soldat redete in seiner fremden, kehligen Sprache weiter, doch verstand niemand, was er wollte. Vater sah ihm ins Gesicht. Ein gutes Gesicht, glaubte er plötzlich, trotz all seiner Angst.
    »Ich fahre mit, Agnes!«, stimmte er zu. »Er will nichts Böses.«
    Mutter hatte sich auf die Bank gesetzt. »Allein mit den Kindern, allein mit den Kindern«, anderes konnte sie nicht denken.
    Der Soldat nahm die Zügel in die linke Hand und bedeutete Vater aufzusitzen. Es ging zur Einfahrt hinaus, scharf um die Kurve. Der Mann verstand es, mit Pferden umzugehen. Das Dorf blieb zurück. Vaters Zuversicht schmolz dahin. Vor dem Dorf lagerte ein Trupp Soldaten, müde, vom schnellen Vormarsch abgehetzt. Ihre Uniformen waren sauber und gut. Die meisten hatten sich mit dem Rücken an ihre kleinen Panjewagen gelehnt und genossen die letzte Wärme der Abendsonne.
    Der Soldat sprang ab. Vater folgte ihm bis zu einem kurzen Leiterwagen, vor den zwei struppige, kleine Panjepferdchen gespannt waren.
    »Da hast du!«, strahlte der Russe und drückte Vater die Zügel in die Hand.
    Vater wagte nicht recht, an seinen neuen Besitz zu glauben, und zeigte erst auf sich und dann auf das Gespann.
    »Du haben«, lachte der Russe.
    Vaters Füße wurden auf einmal leicht. Er schwang sich auf den Leiterwagen und schnalzte. Die Pferde zogen erst an, als er ihnen mit dem Zügelende eines über den Rücken klatschte. Ihre Rippen standen heraus und die Beckenknochen zeichneten sich spitz unter dem Fell ab. »Aber es sind Pferde«, tröstete sich Vater. »Wenn wir erst wieder in Leschinen sind«, sprach er vor sich hin, »dann füttere ich euch heraus. Zwei leichte Pferde sind nicht schlechter als ein schweres. Russenponys sind zäh.«
    Kaum war er bis zum ersten Haus gekommen, da griff ihm ein schwarzhaariger Pole in die Zügel, und vier, fünf seiner Kameraden forderten Vater in

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