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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Gelenke? Der Zorn des Herrn hat uns getroffen. Doch der Herr selbst zeigt uns den Weg, das Leid anzunehmen und die Straße des Todes in eine Straße des Lebens zu verwandeln.«
    Die Tür wurde aufgerissen.
    »Der Kommandant!«, rief Alma. Da eilte er bereits über den Hof und trat in den Schober. Der Pfarrer erhob seine Stimme und sprach weiter: »Hat er nicht selbst seinem Verräter an diesem Tag, an dem er uns sein Fleisch und Blut zur Speise gab, die Füße gewaschen wie ein Knecht?« Der Kommandant stand unschlüssig in der Tür. Sechs, sieben Russen drängten sich hinter ihm. »Wenn nur euer Herr und Meister euch wie ein Knecht dienstbar war, so tuet auch ihr, wie er für euch getan hat. Amen!«
    »Ende!«, sagte der Kommandant spöttisch. Der Korporal übersetzte, was aus dem Mund des Offiziers hervorsprudelte. Versammlungen seien verboten. Die Sowjetunion schütze zwar die Freiheit der Religion. Aber Versammlungen seien nun einmal verboten. Komme so etwas noch einmal vor, dann …Er spielte mit der Pistole. Ein Soldat drängte sich vor, riss das weiße Tuch vom Tisch, der eben noch der Tisch des Herrn gewesen war, und trat mit den Stiefeln darauf. Konrad sah seine Krokusse auf dem Boden liegen und dachte daran, dass auch im Kirchdorf daheim am Gründonnerstag die Altäre entkleidet und all ihres Schmuckes beraubt worden waren.
    »Du kommst mit«, übersetzte der Korporal, und der Kommandant wies auf den Pfarrer. Zwischen zwei Soldaten schritt er. Er war gekommen, keiner hatte ihn gekannt, er wurde weggeführt, niemals hörte jemand vom Dorf mehr, als dass er unter Bewachung aus dem Ort gebracht worden war. Die Menschen, die aus seinem Wort und aus der Messe Trost empfangen hatten, schlichen bedrückt davon.
    »Eine bittere Karwoche«, flüsterte Mutter.
    Albert hielt Nikolai auf dem Schoß, der den ganzen Tag nichts fressen wollte, obwohl Albert ihm eine Hand voll frischer Löwenzahnblätter gestochen hatte. Zuweilen streichelte der Junge sein Tier. Nikolai regte sich nicht.
    Am Karfreitag wusste Mutter, dass ihr Kind geboren werden würde. Vater bekam am Nachmittag die Erlaubnis, zur Hebamme zu gehen. Doch er fand sie zwischen Koffern und Säcken.
    »Wir müssen morgen früh das Dorf räumen«, klagte sie. »Ich muss nun für mich selbst sorgen.« Sie ließ sich nicht bewegen mitzugehen. So lief Vater bedrückt allein zurück.
    Es regnete leicht. Kalter Wind wehte vom Meer her. Vaters Herz klopfte hart. Er trat in den Flur. Alma öffnete die Stubentür und trug ein Becken, in dem heißes Wasser dampfte. Vater hörte das quäkende Geschrei eines Säuglings.
    »Alma, was ist das?«
    »Ein Mädchen, Bauer, ein gesundes Mädchen ist vor einer halben Stunde geboren!«
    Konrad sah, wie Vater hereintrat. Tränen rannen ihm aus den Augen und tropften auf die Jacke. Vater weinte! Konrad sah das zum ersten Mal. Vater trat zur Mutter und fasste ihre Hand. Sie lächelte glücklich, schlug die Decke ein wenig zurück und zeigte dem Mann das winzige, krebsrote Menschenkind.
    »Schwarze Haare!«, sagte Vater. »Und groß und dick.«
    »Ja«, flüsterte Mutter, »ein schönes Kind.«
    »Eigentlich wollten Thomas und Grete die Taufpaten sein. Wo mag der Krieg sie hingetrieben haben?«, sagte Vater.
    Am Abend taufte Vater das Kind und gab ihm den Namen Elisabeth. Hedwig und Hubertus waren an die Stelle der Bienmanns aus der Tuchler Heide getreten und durften die Paten sein.
    Da erinnerte sich Hubertus an den Wein, den er im Misthaufen versteckt hielt. Er rannte, um ein paar Flaschen zu holen. Dem alten Bauern lief das Wasser im Mund zusammen. Doch mit verdrießlichem Gesicht und zwei leeren Flaschen kehrte Hubertus zurück.
    »Die Flaschen sind alle leer. Die Wärme des Mistes hat die Pfropfen herausgesprengt.«
    »Wie gut, dass wir den Zucker genommen haben«, sagte Alma. Schadenfreude klang durch ihre Stimme.
    »Weißt du eigentlich, Alma, dass man aus Zucker einen guten Schnaps brennen kann?«, fragte der Bauer.
    »Mit der Bratpfanne in der Hand werde ich den Zucker verteidigen«, rief Alma. »So weit kommt das noch, dass ihr Saufköppe meinen Zucker für Schnaps verbraucht.«

27
    Der Karsamstag begann mit einer schlimmen Nachricht. Es hieß, dass bis zum Nachmittag das Dorf geräumt sein müsse. Vater, Konrad und Hubertus gingen wie gewöhnlich zur Pferdepflege. Der Tierarzt wollte an diesem Tag kommen. Der Korporal war wie stets vor solchem Besuch reizbar und launisch.
    Trotzdem fragte Vater ihn: »Ist es wahr, Korporal,

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