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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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sie uns später finden, dann glauben sie gewiss, dass wir Soldaten gewesen und in Zivilkleidern zurückgekehrt seien.«
    »Dann schleppen sie uns erst recht fort«, fügte Vater hinzu.
    Die Nacht verbrachten sie noch im sicheren Schober.
    Doch als am Morgen der erste Russe in die Stube trat und Alma zur Kulturarbeit befehlen wollte, da saßen die Männer um den Herd.
    »He, Soldat?«, fragte der Russe misstrauisch. Doch statt einer Antwort hielt ihm Hubertus den Armstumpf entgegen.
    Der Russe schien zu überlegen. Plötzlich wollte er vom Vater wissen: »Du Bauer?«
    Vater nickte.
    »Komm mit, bistra, schnell!« Als Mutter aufweinte, drehte er sich um und rief zurück: »Kommt wieder, bestimmt!«
    Hubertus folgte unaufgefordert. Auf den größten Hof von Starkow wurden sie gebracht. Der Russe verhandelte mit einem grobschlächtigen Korporal, der mit aufgekrempelten Hemdsärmeln in der Tür stand. Dann winkte er die Männer heran.
    »Versteht ihr was von Pferden?«, fragte der Korporal. Sein Deutsch war fehlerfrei, nur ein wenig kehlig.
    »Ich habe Pferde gezüchtet«, sagte Vater.
    »Gut. Kommt in den Stall.«
    Statt der Kühe stand hier Pferd neben Pferd.
    »Alle krank«, erklärte der Korporal. Er zeigte auf einen mageren Apfelschimmel: »Der lahmt und ist abgehetzt. Er wird krepieren.« Und von einem kleinen Fuchs, der daneben stand und den Kopf tief hängen ließ, sagte er: »Sieh dir den an. Er ist ganz heruntergekommen.« So ging es von einem zum andern.
    »Es sind dreiundvierzig Pferde«, sagte der Korporal, doch dann verbesserte er sich: »Zweiundvierzig sind es.« Er trat zum hinteren Ausgang des Stalles. Dort stand an einen Baum gelehnt eine hohe Rappstute, matt, zu Tode erschöpft, zu einem Skelett abgemagert. Groß und voll dumpfer Schmerzen stierten die pechschwarzen Augen des Tieres.
    »Wasser!«, rief Vater und trug einen Eimer aus dem Stall herbei. Der Rappe weigerte sich zu trinken.
    Der Korporal zog einen Revolver aus der Ledertasche, entsicherte ihn und gab dem Tier den Fangschuss hinter das Ohr. Das Pferd zitterte wie unter einem kalten Wind, brach zusammen und rührte sich nicht mehr.
    »Vergraben!«, knurrte der Korporal und zeigte auf die Wiese, auf der frische Erdhügel aufgeworfen lagen. Geschreckte Nebelkrähen kratzten in der Erde und krächzten zuweilen.
    Mittags erhielten die neuen Stallknechte eine dicke Suppe und eine Scheibe dunkles Brot.
    »Der Apfelschimmel ist der Nächste, der krepiert«, sagte der Korporal. Hubertus dachte, um das zu sehen, braucht es keinen Propheten. »Ich kriege ihn durch«, widersprach Vater. Doch der Korporal lachte nur. Nach der Abendfütterung durften sie endlich nach Hause gehen.
    In der Nacht wurde Vater von der Mutter geweckt. Sie hatte starke Schmerzen.
    Gegen Morgen fragte er: »Gibt es keine Hebamme rundum?«
    »Doch«, antwortete Alma, »drei Kilometer von hier im nächsten Dorf.«
    »Aber wer geht dorthin?«, fragte Vater, ohne aufzusehen. Alma trat hinaus. Der alte Bauer schwieg.
    »Wir müssen zu den Pferden«, drängte Hubertus.
    Vater ließ Mutter schweren Herzens zurück, Konrad lief mit. Der Korporal war heute kurz angebunden und trieb die Männer zur Arbeit. Der Stall müsste gründlich ausgemistet werden, die Pferde wurden gestriegelt, die Tröge ausgewischt.
    Gegen Mittag fuhr ein Auto in den Hof. Ein dicker Offizier mit fleischigem, blassem Gesicht kletterte heraus. Ihm folgten vier Soldaten.
    »Der Tierarzt«, erklärte der Korporal und stand stramm.
    Wortlos beschaute der Arzt jedes einzelne Pferd, blickte einem Wallach unter das Augenlid und einigen Tieren ins Maul. Fünfzehn suchte er aus und wechselte ein paar Worte mit dem Korporal. Er schien zufrieden zu sein, denn er nahm seinen Tabaksbeutel heraus und bot dem Korporal grobkörnigen Machorka an. Mit flinken Fingern riss dieser ein Stück Zeitung ab und drehte sich geschickt eine dicke Zigarette, beleckte kräftig das Papier und suchte nach Feuer. Hubertus gab ihm ein Streichholz.
    Der Tierarzt blieb auf dem Rückweg bei dem Apfelschimmel stehen, wiegte den Kopf und fuhr mit der flachen Hand an der Kehle vorbei. Da lachte der Korporal, erklärte etwas und zeigte auf Vater. Der Tierarzt zuckte die Schultern und verließ den Stall.
    »Er war mit mir zufrieden«, freute sich der Korporal. »Morgen kommen neue Pferde.«
    Da getraute sich Vater ihn zu fragen, ob er nicht ins Nachbardorf zur Hebamme gehen dürfe.
    »Zwei müssen hier bleiben.«
    »Ich bin ja da«, sagte Konrad.
    »Gut. Du

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