Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Jahr des Hasen

Titel: Das Jahr des Hasen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
Vom Netzwerk:
er den Raben auf dem Ast und glaubte den Vogel rülpsen zu hören.
    Schwarze, unbändige Wut stieg in ihm auf, und als er sich zur Ruhe begab, legte er sich den Rucksack unter den Kopf. Der Hase sprang in sein Lager hinter Vata­ nens Rücken.
    Am Morgen schnürte Vatanen seinen Rucksack fest zu und bedeckte ihn sorgfältig mit Reisig.
    Als er abends in seine Hütte zurückkehrte, hatte es wieder Raub und Zerstörung gegeben. Der Rabe hatte die Reiser beiseite geschoben, den Rucksack aus der Nähe der Feuerstelle nach draußen gezerrt, eine Seiten­ tasche abgerissen und daraus eine Packung Schmelzkä­ se gestohlen. Er hatte außerdem die Schnur gekappt und sich den Rest der angebrochenen Fleischkonserve und die letzten Knäckebrotscheiben geholt. Übriggelas­ sen hatte er nur ein Paket Tee sowie Salz und Zucker und zwei, drei ungeöffnete Fleischdosen.
    An diesem Abend fiel Vatanens Mahlzeit noch einfa­ cher aus.
    So ging es viele Tage weiter. Selbst wenn Vatanen morgens, bevor er zur Arbeit ging, seinen Rucksack unter dicken Holzkloben versteckte, gelang es dem Raben, Lebensmittel zu entwenden. Er fand immer irgendeinen Spalt, um an den Proviant heranzukommen. Die einzige Möglichkeit, den Rucksack vor den Klauen des gierigen Vogels zu schützen, schien ein Betonbunker zu sein.
    Der Rabe wurde immer dreister. Er erkannte offenbar, daß der Mann in der Hütte gegen sein Tun machtlos war. Obwohl Vatanen ihn durch furchtbares Brüllen und mit faustgroßen Steinen von seiner Insel zu vertrei­ ben suchte, blieb der Vogel ruhig – er schien sich über Vatanens ohnmächtige Wut sogar zu amüsieren.
    Der Vogel wurde schnell fett und wollte sich tagsüber kaum noch von seinem Ast wegbewegen. Sein unersätt­ licher Appetit zwang Vatanen, statt wie bisher zweimal, jetzt dreimal in der Woche beim fahrenden Händler im Dorf einzukaufen. Nach Vatanens Rechnung verschlang der Rabe pro Woche Lebensmittel im Wert von sechzig Mark.
    Auf diese Weise vergingen vierzehn Tage. Der Rabe war nun maßlos fett. Er saß faul und frech
    auf seinem Ast, ein paar Meter von Vatanen entfernt, groß und kräftig wie ein wohlgenährtes Lamm; sein grauschwarzes Federkleid hatte die Farbe geändert, es war dunkel geworden und glänzte prächtig.
    Wenn es so weiterging, würde Vatanens Arbeit einen sehr kargen Lohn einbringen. Angestrengt überlegte er, wie er den Raben vernichten könnte, und als ihn das Tier zwei Wochen lang beraubt hatte, fiel ihm eine Mög­ lichkeit ein, wie er diesen Zustand ein für allemal been-den könnte.
    Die Methode, mit der er den Raben zwingen wollte, seinem Räuberleben zu entsagen, war sehr wirkungs­ voll.
    Und grausam.
    Vatanen war wieder einmal im Dorf, um Proviant zu besorgen. Das Mädchen in dem Verkaufswagen muster-te den Kunden etwas befremdet – er erschien nicht nur dreimal wöchentlich bei ihr in Begleitung eines Hasen, sondern die Menge seiner Einkäufe wuchs auch von Mal zu Mal. Dabei war bekannt, daß der Mann lediglich für sich selbst einkaufte.
    »Da draußen in der Einöde wohnt ein furchtbarer Vielfraß«, wurde im Dorf geredet. »Der kauft dreimal pro Woche einen Rucksack voller Lebensmittel und wird dabei immer magerer.«
    Am Tag, nachdem ihm seine Idee gekommen war, öff­ nete Vatanen seine Fleischbüchsen anders als bisher: Er schnitt den Deckel nicht am Rand auf, sondern schlitzte ihn über Kreuz ein, so daß sich vier scharfkantige Blechdreiecke bildeten. Diese Zacken bog er vorsichtig nach oben, und nun sah die Fleischbüchse wie eine sich öffnende Blume mit vier Blütenblättern aus. Aus der Mitte dieser Blechblume holte Vatanen mit dem Messer Fleisch heraus, briet es in der Pfanne und aß mit gutem Appetit. Der Rabe schaute dem Treiben des Mannes gelassen zu, wahrscheinlich glaubte er, der Rest aus der Dose gehöre wie immer ihm.
    Nachdem Vatanen die üblichen Beschimpfungen ge-gen den Raben ausgestoßen hatte, versteckte er den Rucksack unter Kloben. Zuvor bog er jedoch die Zacken des Konservendeckels nach innen, so daß sich eine trichterförmige Öffnung bildete, ähnlich wie bei einer Reuse.
    Sowie Vatanen sich ein Stück in Richtung Wald ent­ fernt hatte, flatterte der Rabe zum erlöschenden Feuer und stelzte zum Rucksack. Er hielt einen Moment den Kopf schräg und machte sich dann energisch ans Werk: schlüpfte zwischen die Kloben, krächzte vor sich hin, schubste einen Kloben beiseite und bekam ziemlich bald seine Beute heraus. Ab und zu hob er seinen großen, schwarzen Kopf,

Weitere Kostenlose Bücher