Das Jahr des Hasen
um nach Vatanen Ausschau zu halten.
Nachdem der Rabe den Rucksack hervorgeholt hatte, zerrte er ihn auf einen freien Platz, um, wie seit Wochen, seinen Raub zu verüben. Er öffnete ihn routiniert und machte sich über den Inhalt her.
Vatanen hielt sich im Schatten des Waldes und ver folgte den Fortgang der Dinge.
Der Rabe begann mit einem Paket Knäckebrot, er pickte daran herum, nahm eine große Scheibe in den Schnabel und lief, mit den Flügeln schlagend, davon. Er sah aus wie eine überladene Transportmaschine, die von einer zu kurzen Startbahn abheben will. Endlich bekam er genügend Luft unter die Flügel und erhob sich vom Boden; Vatanens Hase hatte sich erschrocken in der Hütte versteckt und beobachtete von dort aus den Start der Räubermaschine.
Als der Vogel mit der großen Scheibe Knäckebrot, die vom Morgenwind erfaßt wurde, über Vatanen schwebte, glich er einem Drachen, und er mußte alle Kraft auf wenden, um den Kurs zum Wald zu halten, wo er sein Versteck hatte.
Bald kehrte er zurück, und der Hase, der inzwischen im Moor ein wenig Gras gefressen hatte, verkroch sich wieder in der Hütte. Vatanen schärfte den Blick.
Geräuschvoll zerrte der Rabe die Fleischbüchse aus dem Rucksack. Bevor er sich über den Inhalt hermach te, richtete er sich auf und beäugte die Umgebung, um sein Mahl ungestört genießen zu können. Dann steckte er seinen großen Kopf in die Büchse. Er nahm ein paar saftige Happen von dem fetten Fleisch und wollte dann Luft schöpfen.
Doch er konnte den Kopf nicht aus der Büchse zie hen. Er saß fest. Das Tier bekam es mit der Angst. Es machte ein paar Hüpfer, versuchte, die Büchse abzu schütteln, aber die blecherne Falle blieb hartnäckig sitzen. Der Rabe kratzte vergeblich an der glatten Run-dung, und die messerscharfen Blechränder sägten an seinem fettigen Hals.
Vatanen eilte herbei, bekam seinen Räuber jedoch nicht mehr zu fassen. Der schwarze Vogel erhob sich mit wildem Geflatter in die Luft, die Büchse immer noch fest um den Kopf, und obwohl er nichts sehen konnte, ge-lang es ihm, so hoch aufzusteigen, daß Vatanen ihn nicht an Ort und Stelle vernichten konnte.
Der Rabe in der Blechbüchse schrie in höchster Not. Das Moor hallte wider von seinem metallischen Kräch zen, erstickt, doch unheilverheißend.
Er gewann an Höhe und glich in seinem düsteren Flug dem Schwan von Tuonela. * Die Blechbüchse rassel te und schepperte, begleitet vom aufgeregten Geschrei.
Als der Rabe die Orientierung verloren hatte, begann er in der Luft herumzutorkeln, konnte den Kurs nicht mehr halten, verlor schnell an Höhe und streifte bereits die höchsten Baumwipfel des Waldrands. Die Fleisch büchse mit seinem Kopf schlug gegen die Bäume, und das Tier stürzte zu Boden, um sich blutüberströmt von neuem aufzurappeln. Vatanen sah den Raben hinter dem Waldrand verschwinden. Dann hörte er nur noch grauenhafte Laute, die vom letzten Flug des Raben kündeten.
Schneeregen fiel, und die Laute verstummten. Vatanen hob seinen ramponierten Rucksack auf und
hängte ihn in die Hütte, er nahm den Hasen auf den Arm und blickte zum Waldrand. Er wußte, daß auf dem Boden der Fleischbüchse jetzt mehr Rabenblut als Fleisch war, und er war grausam genug, um über seine schreckliche Tat lauthals zu lachen.
Auch der Hase schien zu lachen.
14. KAPITEL
Der Opferdarbringer
Eine Woche nach dem Tod des Raben verließ Vatanen das Moor von Posio, begab sich nach Sodankylä und ruhte sich dort im Hotel ein paar Tage aus. Er traf einen Rentierzüchter aus der Kooperative von Sompio, der ihm eine Gelegenheitsarbeit anbot: die Instandsetzung der Hütte von Läähkimäkuru, an der »Schmatzerschlucht«. Das paßte Vatanen ausgezeichnet.
Er kaufte sich ein Gewehr mit Zielfernrohr sowie Skier, Zimmermannswerkzeug und Proviant für mehrere Wochen. Dann nahm er ein Taxi und fuhr in den großen Wald. Am Abzweig Värriö traf er mehrere Rentierzüchter, die an der Landstraße um ein Feuer saßen.
»Verstehe ich nicht«, sagte der eine. »Hier sind die Ha-sen schon wochenlang ganz weiß, aber der da hat noch Sommerfell.«
»Ist vielleicht ein Feldhase.«
»Nein, die sind größer.«
»Er kommt aus dem Süden«, erklärte Vatanen. Gemeinsam mit dem Taxifahrer lud er seine Sachen
aus dem Auto. Es schneite, aber zum Skilaufen reichte es noch nicht.
Man bot Vatanen Kaffee an.
Der Hase beschnupperte die nach Wald riechenden Männer neugierig und ganz ohne Scheu.
»Wenn Kaartinen den
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