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Das Jahr Des Werwolfs

Das Jahr Des Werwolfs

Titel: Das Jahr Des Werwolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Löwe führt alle seine Beratungen in diesem Raum durch, und einige mühsalbeladenen Gemeindemitglieder rauchen. Er nimmt ein Streichholzheftchen aus seinem Sweater, den er immer samstags trägt, und zündet den Zettel an wie er die anderen angezündet hat. Er schaut zu, wie das Papier verbrennt.
    In zwei deutlich verschiedenen Stadien hat Löwe
    erfahren, was er ist. Nach dem Alptraum vom Mai, dem Traum, in dem sich alle Mitglieder seiner Gemeinde in Werwölfe verwandelten, und nachdem er Clyde Corliss’ entsetzlich verstümmelte Leiche gefunden hatte, ist ihm klargeworden, daß etwas … nun, daß etwas mit ihm nicht stimmt. Er weiß nicht, wie er es sonst ausdrücken soll. Etwas stimmt mit ihm nicht. Andererseits weiß er, daß er sich morgens nach dem Aufstehen manchmal erstaunlich gut und kräftig fühlt, gewöhnlich bei Vollmond. Dieses Gefühl schwindet, wenn der Mond abnimmt und wächst bei zunehmendem Mond.
    Nach dem Traum und nach Corliss’ Tod war er gezwungen, andere Dinge zu registrieren, die er bisher verdrängt hatte. Verschmutzte und zerrissene Kleidung. Kratzer und Abschürfungen, die er sich nicht erklären kann (aber da sie nie schmerzen, wie gewöhnliche Verletzungen, war es leicht, sie zu ignorieren oder einfach … nicht daran zu denken). Es war ihm sogar gelungen, Blutspuren zu ignorieren, die er manchmal an seinen Händen feststellte … und an seinen Lippen.
    Dann kam am fünften Juli das zweite Stadium. Einfach beschrieben: Er war auf einem Auge blind
    aufgewacht. Genau wie bei den Kratzern und Abschürfungen, hatte er keine Schmerzen empfunden; nur eine blutig verbrannte Höhle wo sein linkes Auge gesessen hatte. Inzwischen war sein Wissen um die Dinge so überwältigend geworden, daß es nicht mehr zu leugnen war: er war die Bestie; er ist der Werwolf.
    Während der letzten drei Tage hatte er wieder diese vertrauten Empfindungen: eine große Unruhe, eine fast freudige Ungeduld, ein Gefühl der Spannung im Körper. Es kommt wieder — die Veränderung steht unmittelbar bevor. Heute nacht ist Vollmond, und die Jäger werden mit ihren Hunden unterwegs sein. Nun, das ist unwichtig. Er ist schlauer, als sie denken. Sie sprechen von einem Mann-Wolf, aber sie denken immer nur an den Wolf, nicht an den Mann. Sie können ihre Kleinlaster fahren, und er kann seinen Volare-Sedan fahren. Und heute nachmittag wird er nach Portland fahren und irgendwo am Stadtrand in einem Motel absteigen, denkt er. Und wenn die Veränderung eintritt, wird es keine Hunde und keine Jäger geben. Sie können ihm keine Angst machen.
    Warum nehmen Sie sich nicht das Leben?
    Die erste Notiz kam Anfang des Monats. In ihr stand nur:
    Ich weiß, wer Sie sind.
    In der zweiten stand:
    Wenn Sie ein Gottesmann sind, verschwinden Sie aus der Stadt. Gehen Sie irgendwohin, wo Sie Tiere töten können, aber keine Menschen.
    In der dritten stand:
    Machen Sie ein Ende. Das war alles; nur: Machen Sie ein Ende. Und heute
    Warum nehmen Sie sich nicht das Leben?
    Weil ich es nicht will, denkt Reverend Löwe mürrisch. Dies — was es auch sei — habe ich mir nicht gewünscht. Ich bin von keinem Wolf gebissen und von keiner Zigeunerin verflucht worden. Es ist einfach … passiert. Im vergangenen November habe ich ein paar Blumen für die Vasen in der Sakristei gepflückt. Neben diesem hübschen kleinen Friedhof am Sunshine Hill. Solche Blumen habe ich noch nie gesehen … und sie waren tot, bevor ich wieder in der Stadt war. Sie wurden alle ganz schwarz. Vielleicht fing es damals schon an. Eigentlich habe ich keinen Grund, das anzunehmen … aber ich glaube es trotzdem. Und ich werde mir nicht das Leben nehmen. Sie sind die Tiere, nicht ich. Wer schreibt diese Notizen?
    Er weiß es nicht. Der Überfall auf Marty Coslaw war in der Wochenzeitung von Tarker’s Mills nicht erwähnt worden, und er ist stolz darauf, daß er sich um Klatsch nicht kümmert. Und wie Marty vor Allerheiligen von Löwe nichts wußte, weil ihre religiösen Kreise sich nicht berühren, so wußte auch Löwe von Marty nichts. Und er weiß nicht, was er tut, wenn er sich in eine Bestie verwandelt hat; er kennt nur dieses rauschhafte Gefühl des Wohlbefindens, wenn sich nach einem Monat der Zyklus vollendet, und die vorangegangene Ruhelosigkeit.
    Ich bin ein Gottesmann, denkt er, steht auf und fängt an, immer schneller in dem stillen Salon auf und ab zu gehen, in dem die alte Standuhr feierlich tickt und tackt. Ich bin ein Gottesmann, und ich werde mir nicht das Leben

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