Das Jahr Des Werwolfs
etwas, worüber auch Pete nachgedacht hat. »Die Versicherung wird einiges davon bezahlen. Nicht alles, aber einiges. Mit dem Rest muß ich mich abfinden. Besser meine Schweine als wieder ein Mensch.«
Pete nickt. »Das reicht jetzt«, sagt er, und seine Stimme ist ein Murmeln, das man bei dem Regen kaum hören kann.
»Was meinst du damit?«
»Du weißt, was ich meine. Beim nächsten Vollmond müssen vierzig Männer raus … oder sechzig … oder hundertsechzig. Es wird langsam Zeit, daß die Leute aufhören, so zu tun, als passierte nichts, wo es doch jeder Narr sehen kann. Mein Gott, schau dir das hier doch nur an!«
Pete zeigt nach unten. Um die gemetzelten Schweine herum ist die weiche Erde des Stalls voller Spuren. Sie sehen aus wie Wolfsspuren … aber sie sehen auch seltsam menschlich aus.
»Siehst du diese verdammten Spuren?«
»Ich sehe sie«, räumt Eimer ein.
»Glaubst du, die süße Betsy aus Pike hat diese Spuren gemacht?« »Das wohl nicht gerade.« »Solche Spuren sind die Spuren eines Wer
wolfs«, sagt Pete. »Du weißt es, Alice weiß es, die meisten Leute in der Stadt wissen es. Verdammt, sogar ich weiß es, und ich stamme aus einem ändern Staat.« Er schaut seinen Bruder mit seinem ernsten und strengen Gesicht an, dem Gesicht eines Neu-England-Puritaners aus dem Jahre 1651. Und er wiederholt seine Worte: »Das reicht jetzt. Höchste Zeit, mit dieser Sache Schluß zu machen.«
Eimer denkt längere Zeit darüber nach, während der Regen auf die Wettermäntel der beiden Männer fällt. Dann nickt er. »Du hast recht. Aber nicht beim nächsten Vollmond.«
»Willst du bis November warten?«
Wieder nickte Eimer. »Dann sind die Wälder kahl, und wir können die Spuren besser erkennen, sobald Schnee gefallen ist.«
»Und was passiert im nächsten Monat?«
Eimer Zinneman betrachtet seine ermordeten Schweine in dem Stall neben der Scheune. Dann schaut er seinen Bruder an.
»Die Leute müssen aufpassen«, sagt er.
Als Marty Coslaw mit fast leeren Batterien in seinem Rollstuhl von den Hausbesuchen zu Allerheiligen zurückkommt, geht er sofort ins Bett, aber er liegt noch wach, bis der Halbmond am kalten Himmel aufgeht, wo die Sterne wie Diamanten funkeln. Draußen auf der Veranda, wo eine Pakkung Knallfrösche zum Vierten Juli ihm das Leben rettete, fegt ein kalter Wind braune Blätter in Wirbeln über die Steine. Sie rasseln wie alte Knochen. In Tarker’s Mills ist der Oktobervollmond gekommen und gegangen, ohne daß ein neuer Mord geschah, so daß es jetzt zwei Monate nacheinander keinen Mord gegeben hat. Einige Leute in der Stadt — Stan Pelky, der Frisör, ist einer von Ihnen, Cal Blodwin, dem Blodwin Chevrolet
gehört, die einzige Autohandlung am Ort, ist ein zweiter — glauben, daß der Schrecken vorüber ist. Der Mörder war ein Herumtreiber oder Landstreicher, der im Wald gelebt hat und inzwischen weitergezogen ist, wie man es vorausgesagt habe.
Andere allerdings sind sich da nicht so sicher. Sie machen sich Gedanken über die vier gemetzelten Rehe, die am Tag nach dem Oktobervollmond vor der Stadt an der Straße gefunden wurden, und über Eimer Zinnemans elf Schweine, die im September bei Vollmond getötet wurden. An diesen langen Herbstabenden wird in der Kneipe beim Bier heftig darüber gestritten.
Aber Marty Coslaw weiß es.
Heute abend ist er mit seinem Vater losgezogen. Sein Vater liebt die Hausbesuche zu Allerheiligen, er liebt die scharfe Kälte, er lacht gern sein herzliches Alter-Kumpel-Lachen und brüllt idiotische Sachen wie »Ho, ho!«, wenn sich die Haustüren öffnen und vertraute Gesichter aus Tarker’s Mills herausschauen. Marty ging als Yoda aus »Krieg der Sterne«, eine große Gummimaske über den Kopf gezogen und in ein weites Gewand gehüllt, das seine verkümmerten Beine bedeckte. »Du kriegst immer alles was du willst«, sagt Katie und wirft den
Kopf zurück, als sie die Maske sieht… aber er weiß, daß sie nicht wirklich wütend auf ihn ist. Und wie um das zu beweisen, macht sie ihm einen schönen krummen Yoda-Stab, mit dem er seine Kostümierung vervollständigt. Aber vielleicht ist sie ein wenig traurig, weil sie jetzt zu alt ist, mit den anderen Kindern von Haus zu Haus zu ziehen. Statt dessen besucht sie zusammen mit ihren Freundinnen von der High-School eine Party. Sie wird zu Platten von Donna Summer tanzen, und später wird die Beleuchtung vielleicht ein wenig gedämpft, und die Mädchen spielen Flaschendrehen, und sie wird vielleicht
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