Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
eine völlig unbeschwerte Woche. Aber da habe ich mich getäuscht. Es gibt Sachen, die verfolgen einen wie ein Schatten.
Klar ist es herrlich hier. Es liegt richtig Schnee. Schon am ersten Nachmittag zieht Opa seine Wanderschuhe an und lockt mich hinaus. Wir stapfen los, immer höher hinauf, bis wir einen kleinen Bergrücken erreichen. Von dort zeigt mir Opa die fernen Felsen des Elbsandsteingebirges.
»Das ist der Königstein mit der Festung«, sagt er. »Kannst du sie sehen?«
Da sind mindestens zwanzig Berge. Wie soll ich wissen, welchen er meint? Er nimmt den kleinen roten Rucksack vom Rücken und holt ein Fernglas heraus.
»Ich zeig ihn dir. Den Königstein erkennst du an den Mauern der Festung, die um den Fels herumgehen wie ein steinernes Band.« Dann hält er mir das Glas hin.
Ich suche eine Weile, sehe Himmel und Wald, da ein Dorf und dort einen Kirchturm, bis ich tatsächlich eine größere Felsgestalt treffe, auf deren Kopf so ein steinernes Band zu sehen ist. Ich kann sogar die kleinen Wehrtürmchen erkennen, die seitlich hervorragen. Toll!
»Und etwas weiter rechts der große Felsen, das ist der Lilienstein«, erklärt Opa.
Ich suche, und wirklich – na, ich weiß nicht genau, ob ich den richtigen gefunden habe, aber ich tue so. Das ist ein Blick! So weit, wie auf einem Bild. Ich kann gar nicht richtig glauben, dass das alles echt sein soll.
Wir laufen auf dem Bergrücken weiter. Opa zeigt mir Wildspuren. Dann ragt gar nicht weit vor uns ein Berg auf. Das ist der Spitzberg.
»Wenn du willst, besteigen wir ihn morgen«, sagt Opa.
Klar will ich. Aber jetzt kehren wir erst einmal um.
Am Abend sitzen wir in der gemütlichen Küche. Es gibt Kartoffelsalat mit Würstchen. Carsten schwärmt ständig von den Kochkünsten seiner Mutter. Meine Mutter ist davon nicht gerade begeistert. Sie verdreht leicht die Augen, wenn sie mich ansieht, und zwinkert mir zu, als wollte sie sagen: So ist es eben. Da kannste nix machen.
Wir reden über die Landschaft. Ich schwärme von der Festung, die ich gesehen habe, und dem Blick ins weite Land. Ich erzähle auch, dass ich am Schluss der Wanderung nasse Füße hatte und dass das wohl an meinen Winterschuhen liegt, die nicht für so etwas gemacht sind.
»Hast du sie schon mit Zeitung ausgestopft?«, fragt Omi.
Nö, wieso sollte ich? Ich sehe sie fragend an.
»Im unteren Fach im Schränkchen findest du alte Zeitungen. Knüll sie zusammen und steck sie fest in die Schuhe und dann stellst du sie unter die Heizung. Morgen sind sie dann auf jeden Fall trocken.«
Sie sagt kein Wort von meinem Gutschein. Klar muss ich was machen, dass die Schuhe morgen trocken sind.
»Und der Gutschein?«, frage ich nun einfach. Mein Herz klopft ein bisschen, weil ich nicht weiß, ob die Frage vielleicht unverschämt ist.
»Darüber reden wir morgen Abend«, sagt Opa freundlich. »Falls du dann immer noch vom Wandern begeistert bist, ja?«
Und Maria? Die sitzt auf einem Kinderstühlchen, das aussieht, als hätte schon Carsten darauf gesessen, und klopft mit ihrem kleinen Löffelchen auf den Tisch. Ihr sind Wanderschuhe und nasse Füße egal.
»Wann soll denn nun die Taufe von Maria sein?«, lenkt Opa das Gespräch plötzlich auf ein anderes Thema. Er hat wahrscheinlich meine Augenreise von Mami zu Cars ten zu Maria beobachtet, und da habe ich seine Aufmerksamkeit auf seinen kleinen Schatz gelenkt. »Carsten hat etwas von Mai erzählt.«
»Was?« Ich blicke mich um.
»Ja, vielleicht im Mai«, sagt meine Mutter.
Ich staune. Das sagt meine Mutter? Mein Unterkiefer klappt nach unten. Ich weiß von nichts. Werden bei uns alle Taufen als Geheimsachen behandelt? Eigentlich gilt die Regel, dass wir möglichst alles gemeinsam besprechen. Und jetzt das?
»Ihr habt mir gar nichts davon gesagt«, begehre ich auf.
»Bisher ging das zwischen Carsten und mir noch immer hin und her«, antwortet meine Mutter. »Aber langsam ringe ich mich dazu durch, dass das okay ist.«
»Aber du glaubst doch gar nicht an diese Sachen mit der Kirche und so!«, rufe ich empört.
»Muss ich auch nicht«, sagt meine Mutter nun doch ein wenig zaghaft.
»Und wie soll das dann gehen? Wir sitzen in der Kirche, und Carsten ist der Einzige, der damit was anfangen kann?«
»Das ist gar nicht so selten, wie du denkst«, schaltet Opa sich ein. »Viele Leute lassen ihre Kinder taufen und sind sich ihres Glaubens gar nicht so sicher. Manchmal kann nur der eine richtig auf Gott vertrauen und manchmal der andere.
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