Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
Meine Wut ist unglaublich groß, aber zugleich fällt sie in sich zusammen. Ich sehe Manu neben mir sitzen. Ihre Lippen zittern. Die Haut um ihre Augen ist aufgequollen, ihre Wimperntusche ist verwischt. Sie sieht aus wie ein Häufchen Elend, würde meine Mutter sagen. Und was würdest du bitte schön noch sagen?, frage ich meine Mutter im Stillen. Manu wartet auf eine Antwort. Sie sieht mich gespannt an. Mami! Was soll ich sagen?
»Verdammte Scheiße«, sage ich. Gut so?
Manu reißt die Augen auf und lächelt. »Ja, das ist eine verdammte Scheiße!«, wiederholt sie. »Was muss ich mich gerade in einen Lehrer verknallen!«
»Und auch noch in den«, ergänze ich.
Aber sie wird nicht wütend. Sie sieht mich nur an und fragt ernsthaft: »Findest du ihn denn nicht süß?«
»Was? Süß?« Ich bin zu jung! Himmel, hilf, ich bin viel zu klein! Damit will ich nichts zu tun haben. »Ich finde ihn nicht süß, im Gegenteil. Ich finde ihn widerlich. Und meine Schwester Mella übrigens auch. Aber deshalb kannst du ja trotzdem in ihn verliebt sein. Meine Mutter sagt immer: Wo die Liebe hinfällt! Und dann guckt sie immer ganz oberschlau. Und auf die Meinung meiner Schwester musst du nicht so viel geben. Du kennst sie ja gar nicht und außerdem hat sie gerade selbst einen bekloppten Freund.«
Das war eine lange Rede. Und was ich alles für wagemutige Äußerungen von mir gegeben habe. Eigentlich müsste sie jetzt aufstehen, ihre Schlittschuhe nehmen und gehen. Stattdessen sieht sie mich immer noch mit ihren Riesenaugen an und sagt: »Mensch, Tine, du bist aber ehrlich.«
Wir fahren dann auf dem See herum, bis es dunkel wird. Das Thema lassen wir erst mal, obwohl ich immer wieder daran denken muss. Aber ich weiß nicht, wie ich die Rede noch mal darauf bringen kann. Ich hab eh schon alles gesagt. Jedenfalls meine Meinung zu diesem Mist hat sie genau gehört. Ich staune immer noch, wie freundlich sie geblieben ist, und vor allem, wie gut wir uns verstehen. Wir flitzen herum, und je dämmriger es wird, umso weniger Menschen müssen wir ausweichen. Zuletzt sind wir ganz allein auf dem Eis und jagen uns und werfen uns aufeinander und lachen uns bald kaputt. Ich komme zu spät nach Hause, aber meine Mutter ist seit Silvester viel gelassener. Sie schaut aus dem Bad he raus, wo sie gerade die Wäsche in die Maschine steckt, und fragt mich, wo ich war. Als ich vom Schlittschuhfahren erzähle, lächelt sie mich an und sagt: »Es ist herrlich, im Dunkeln als Letzte auf dem Eis zu sein. Das würde ich auch gern mal wieder machen.«
Manu und ich hängen die ganze letzte Ferienwoche zusammen rum. Wir gehen ins Kino, fahren wieder Schlittschuh, einmal sind wir bei mir und einmal auch bei ihr zu Hause. Sie ist sofort von Maria und meiner Mutter begeistert. Ich kann das verstehen. An meiner Familie gibt es nichts zu me ckern. Obwohl ich weiß, dass es auch bei uns manchmal ganz anders aussehen kann.
Allerdings habe ich, nachdem ich Manus Mutter kennen gelernt habe, ein bisschen verstanden, warum Manu meine Mutter mag. Ich weiß nicht so richtig, wie ich es beschreiben soll, aber es ist irgendwie eisig bei denen. Ein schönes Haus und allerhand Schnickschnack, aber eine Atmosphäre wie in einem Film, bei dem in jeder Ecke die Gefahr lauert. Total ungemütlich.
Auch ganz anders als bei Ulli. Da ist es zwar auch nicht so wie bei uns, aber Ullis Mutter ist immer freundlich und unterhält sich mit mir, wenn ich zu Besuch bin. Sie fragt nach Maria oder nach meiner Volleyballmannschaft. Manchmal zeigt sie mir was von ihren Arbeiten, und wenn ich in ihren Kunstwerken Leo erkenne, hebt sie jedes Mal übertrieben den Zeigefinger und sagt: »Woher du das jetzt schon wieder weißt!« Und dann lachen wir. Wenn der Hund in der Nähe ist, nimmt sie seinen Kopf zwischen die Hände, zerzaust seine Locken, guckt ihm tief in die Augen und sagt: »Tine behauptet, ich hätte schon wieder ein Kunstwerk von dir geschaffen. Was sagst du dazu? Ob das daran liegt, dass wir uns so ähnlich sehen? Du, mein Lieblingshund, und ich?«
Bei Manus Mutter ist das völlig anders. Sie sieht aus wie eine Filmschönheit, ist groß und schlank und hat nachtschwarzes Haar. Sie trägt einen weißen, langärmligen Pullover und eine weiße Hose. Ich habe immer gedacht, so was gibt es nur im Film. Sie ist sogar an einem ganz gewöhnlichen Donnerstagnachmittag geschminkt, als hätte sie gleich eine Verabredung, und sie begrüßt mich wie in GZSZ: »Hallo, du bist also Tine.
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